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Lob der Bundesbahn Von Wiglaf Droste

Breit und leise zischt der Zug durchs Land. Er ist schnell, aber er schlingert und schlumbumbert nicht. Man kann im Zug eine Postkarte schreiben, ohne daß die Schrift verwackelt. Frankierte Postkarten sind im Zug erhältlich; es sind Ansichtskarten von Fußgängerzonen der Städte, die der Zug passiert. Es gibt eine gutsortierte Leihbibliothek und bequeme Lesersessel, außerdem Schlaf- und Liegewagen in ausreichender Menge auch tagsüber.

Im Speisewagen sind die Getränke wohltemperiert; weder Frostschutzweine noch mit Kohlensäure versetztes, von „Bonaqa“-Verbrechern „Tafelwasser“ genanntes Gift- und Stinkewasser werden ausgeschenkt. Eine Tasse erhitztes Wasser, in der ein Teebeutel baumelt, kostet nicht fünf Mark; die Butter ist nicht gefroren, und die Mikrowelle wird aus der Zugküche verbannt. Die Zeile „Mitreisende sind auch Mitspeisende“, die im Klartext „Friß fix, zahl und verschwinde!“ bedeutet, wird ersatzlos von der Speisekarte gestrichen. Das Zugpersonal wird gut bezahlt, und sein unangenehmer Schichtdienst wird ihm so erträglich gestaltet, wie es nur irgend geht. Entsprechend entspannt können die Angestellten ihren Dienst versehen, der nur noch in den Erinnerungen älterer Kolleginnen und Kollegen ein harter ist.

Unhöfliche, arrogante, lauthalse oder fordernde Kundschaft wird nicht bedient. Passagiere, die trotz flehentlicher, in höflicher Verzweiflung ihnen zugesandter Blicke nicht davon ablassen, auf unschuldige Mitreisende einzuquatern und damit nicht einmal aufhören, wenn ihre Opfer zum Schutz eine eigens und ausschließlich zu diesem Zweck erworbene Ausgabe der albatrosspannweitebedürftigen Wochenzeitung Die Zeit vor sich aufschlagen wie ein Notzelt, werden mit K.O.-Tropfen behandelt und am Zielbahnhof zur Weiterbehandlung für immer an die Heilsarmee ausgeliefert. Fahrgästen, die ein Mobiltelefon benutzen, wird ihr Gerät vom freundlichen Personal weggenommen und höflich und kompetent zertrampelt. Kindern stehen Waggons voller Hüpfbälle zur Verfügung; dort hüpfen sie herum, während ihre Mütter zueinander sagen: „Laß uns erst mal eine rauchen.“

Für existentiell erschöpfte Reisende gibt es einen Sterbewagen; wer nicht mehr weiter will, kann sich dort schmerzfrei final in gute Hände abgeben. Das ist nicht nur human, sondern auch gut fürs lädierte Image: Von den Selbstmördern, die sich nicht in, sondern vor einen Zug werfen, bleibt ja, wie die Leute so sagen, auch immer etwas an der Bahn hängen. Geschäftsleute, Bundeswehrsoldaten und andere Uniformierte können nicht befördert werden – für sie ist der Güterverkehr zuständig; auf der Autobahn werden sie aber sicher auch gerne genommen.

Selbstverständlich gibt es nur eine Klasse, nämlich die erste; ärmere Reisende kostet die Fahrt spottwenig, während sie für reichere schön teuer ist. Wird ein Reicher bei dem Versuch erwischt, sich als Habenichts durchzumogeln, wird er wg. Geiz und Schäbigkeit ohne weitere Debatte aus dem fahrenden Zug gestoßen.

Um dieser fast erschreckenden Perfektion eine menschliche Note zu verleihen, werden die Züge der Bundesbahn ausschließlich nach Durchschnittsbürgern benannt. Sie heißen zum Beispiel Jens Büchsenmann oder Ivar Buterfas.

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