Elvis, Pelvis etc.
: Weiches Riesenrad

■ Wenn Musik, dann nur die Elvissche. Eine Kurzgeschichte von Thomas Meinecke

Als Werner Kuen vor nunmehr acht Jahren in der Wiener Staatsoper unmittelbar nach dem Schlußtakt des Lohengrin und in die Stille vor dem losbrechenden Applaus Elvis gebrüllt hatte, war das noch eine kleine Sensation, etwas anderes wäre es gewesen, wenn Werner zum Beispiel Karajan gerufen hätte.

Inzwischen haben wir uns an demonstratives Aufstoßen in der Oper gewöhnen müssen, Weißbrotkrümel und Rotweinflecken zieren das Gestühl der Theatersäle, durch lärmendes Gelächter und johlenden Szenenapplaus wird uns mittlerweile jeder zweite Kinobesuch restlos verleidet, die Politiker sitzen mit Rauschebärten im Parlament, kratzen sich vor den Fernsehkameras an der Hose und bringen, was das Schlimmste ist, ihre eigenen Blumenstöcke mit in die Abgeordnetenbänke, ganz zu schweigen von der Regierung, die ganze Bundesrepublik ein Kindergarten.

Mit diesen Primitivlingen, mit solchen freiwilligen Primitivlingen habe ich nie etwas am Hut gehabt, sagt der Wagnerianer Werner Kuen, und auch als ich vor acht Jahren in der Wiener Staatsoper Elvis gebrüllt habe, war das eine Art Botschaft und kann beim besten Willen nicht mit den heute gängigen Kindereien unter einen Hut gebracht werden, so Werner weiter. Zuerst hatte Werner Kuen überhaupt keinen Draht zur Musik gehabt, wie man sagt, ich war reiner Kunstliebhaber, sagt der heutige Wagnerianer selbstbewußt, Kunstliebhaber und also Salvador-Dali-Liebhaber, fünfmal bin ich nach Spanien gepilgert, fünfmal zu Salvador Dali, und fünfmal habe ich mir von dem Künstler erzählen lassen, wie er in den vierziger Jahren angefangen hat, diese auffallend dürren Elefantenbeine zu malen, soweit der damalige Dali- und heutige Elvis-Fan Werner Kuen.

Dalis Elfantenbeine waren es auch gewesen, welche unseren Freund 1972 schlagartig zum glühenden Verehrer des kritischen Paranoikers gemacht hatten, erst die Elefantenbeine, dann die weichen Uhren, sagt Werner, bis ich dann eines Tages im Postershop, und wir erinnern uns alle an die Postershops der frühen siebziger Jahre, wir brauchen nur an die siebziger Jahre zu denken, und schon fallen uns die Postershops ein, aber zurück zu Werner, der sagt, bis ich dann eines Tages im Postershop zum ersten Mal Elvis hörte.

Eigentlich war ich nur in den Postershop gegangen, um mir ein neues Weiche-Uhren-Poster zu kaufen, sagt Werner, ihr ahnt ja nicht, wie viele Weiche-Uhren- Poster es gibt, aber dann kam über die kleinen Lautsprecher im Laden plötzlich diese Elvis-Musik, In The Ghetto hieß das Lied, und Werner Kuen kann es noch heute auswendig singen, on a cold and grey Chicago morning a poor little baby child is born in the ghetto and her mama cries. Werner ging schnurstracks in den nächsten Plattenladen und nagelte dann zu Hause das neue Weiche-Uhren-Poster zu den Klängen von In The Ghetto an die Wand.

So war ich von jetzt auf gleich vom reinen Kunstliebhaber zusätzlich zum Musikliebhaber geworden, sagt Werner Kuen, zur Dreifaltigkeit Dali-Elvis-Wagner ist es dann aber erst 1975 gekommen, als mich ein Homosexueller in Wien, nachdem wir uns bei den Lipizzanern kennengelernt und im Riesenrad auch menschlich zueinander gefunden hatten, am Abend mit in die Oper schleppte, wo man den Lohengrin gab, so der Kunstliebhaber, der bis dahin immer gesagt hatte, wenn Musik, dann nur die Elvissche.

Wie vor den Kopf geschlagen habe ich der musikdramatischen Aufführung beigewohnt, nach dem Schlußtakt begeistert Elvis gebrüllt und mich in der folgenden Nacht erstmals der homosexuellen Liebe hingegeben, bekennt Werner Kuen. Als überzeugter Wagnerianer hat er Wien vier Tage später wieder verlassen.

Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags. Der Text erscheint im Frühjahr 1998 in „Mode und Verzweiflung“ von Thomas Meinecke