: Der Wille zur Ausstellung
Die neue deutsche Fotografie in München fragt nach der Wirklichkeit, die neueste britische Fotografie im Stadthaus Ulm nach der PR ■ Von Brigitte Werneburg
Schräg gegenüber dem mittelalterlichen Münster steht nun also merkwürdig aufgeräumt, ordentlich, luftig und sehr weiß, das neue Stadthaus, das in Ulm so lange und heftig umkämpft war. Im Innern versuchen sich die Ausstellungsmacher mit Richard Maiers aufwendigen Treppenhäusern, seinen großzügigen Gangfluchten und den offen dazwischen gestapelten Galerieräumen zu arrangieren. Von innen hat man sicher mehr Grund zur Klage, als sie von außen gerechtfertigt wäre.
Nun hat sich Helen Roberts der opulenten Treppenhalle angenommen und legt mit ihren Farbfotos getupfter Stoffe die Spur, die zu „Public Relations – New British Photography“ führt. Der ganz besondere Charme der Polka Dots gerinnt in den kleinformatigen Bildern der britischen Künstlerin zu einer Minimal-Meditation über Material und Form, wie man sie zur Zeit ebenfalls in aktuellen malerischen Positionen antrifft.
Auch das Stadtmuseum am St. Jacobsplatz in München ist weiß. Aber der Komplex, der das Fotomuseum beherbergt, hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Derzeit wird umgebaut, so gelangt man über einen Hof, dessen begrenzende 50er-Jahre-Architektur stark an den Ulmer Münsterplatz erinnert, ins verwinkelte Innere.
Hier sind es ziemlich bunte, junge Leute, die in die Ausstellung „Wirklich – 7 Positionen zeitgenössischer Fotografie in Deutschland“ einladen. Ob es die „Frau auf gelbem Sessel“ ist, der „Hummerjunge“ oder „Barbie“, sämtliche Protagonisten von Katharina Bosse sind so sorgfältig gestylt, daß die fotografische Inszenierung selbst kaum mehr ins Gewicht fällt.
Vielleicht ist das schon der entscheidende Unterschied zwischen britischer und deutscher Fotografie: Letztere ist zu sehr damit beschäftigt, Stil zu dokumentieren, erstere stellt ihn in ihren Bildern her. Die britische Herangehensweise ist eigensinniger, der fotografische Standpunkt deutlich individueller, kurz, es sind zehn sehr heterogene Blicke auf die fotogene Welt, die in Ulm zu sehen sind.
In München sind sich die Fotografen einig. Vielleicht ist es ein gemeinsamer „Wille zum Glück 1995–19...“, wie Armin Smailovic seine Wand mit 12 C-Prints betitelt hat, die junge Leute im Schlafwagen zeigt, dazu TV-Stills, schlanke Tannen und einen Löwenzahn, der in die Unschärfe zerfließt, wie der Eidotter im Spinat. Vielleicht ist es auch der gemeinsame Wille zur Ausstellung. Der Wunsch, mit einer ausgesprochen subjektiven Selbstdarstellung auf die Institution Museum als klassischer Bildergalerie zu reagieren. Unterstützt vom Leiter des Fotomuseums, Ulrich Pohlmann, luden Armin Smailovic, Martin Fengel und Eva Leitolf ihre KollegInnen Albrecht Fuchs, Jochen Lempert, Katharina Bosse und Karin Appolonia Müller ein, um die farbfotografische Geistesgegenwärtigkeit der jungen deutschen Fotografie ausschnittsweise öffentlich zu machen. Benedikt Taschen hat die jungen deutschen Talente bereits im Band „Contemporary German Photography“ gemustert.
Hier werden auf der einen Seite „Fundstücke der eigenen Lebenswelt einem universalen Fluidum eingespeist“ (Ulf Erdman Ziegler), das gerne mit dem Label Pop versehen und fast ausschließlich in Porträts sowie Bildern von Bildern festgemacht wird. Auf der anderen Seite sind Bernd und Hilla Becher noch immer die Paten, mit ihrer forschenden Akribie. Jochen Lempert scheint sie mit seiner Rasteranordnung schwarzweißer Vogelköpfe einmal mehr zu zitieren, um sie an der Münchener Wand endgültig zu verabschieden. Die Fehlfarben und die schlechte Reproduktion laufen zusammen mit den abstrusen Verwandtschaften von maskierter Menschen- sowie offengelegter Vogelanatomie auf einen bösen Irrwitz hinaus, der sich nur gegen die fotografische Inventarisierung richten kann.
Irrwitzig sind auch die briefmarkenkleinen Fotos in Ulm, die Don Brown von anonymen Passanten aufnahm. Brown fotografierte seine „People of London“ vom erhöhten Standpunkt der St. Pauls Cathedral aus. Wenn seine schwarzweiße Sammlung insektenhaft umherschwirrender Leute am Ende mehr überzeugt als Lemperts Vögelei, dann, weil sie auf das Ende jeder fotografischen Repräsentation zielt, wenn das Auflösungsvermögen der Kamera nicht mehr mitmacht. Das sieht grausam und sehr lustig zugleich aus. Schließlich geht es uns Paare, Passanten direkt an.
Das Auflösungsvermögen eines kleinen Fotoapparates steht allerdings erst in dieser extremen Aufnahmesituation auf dem Prüfstand, während das des Computers von vornherein vergleichsweise mies ist. Henry Bond nutzt die Pixelparkästhetik, um den Retrolook des traditionellen Schwarzweiß mit aktueller Gegenwart aufzuladen. In seiner Edition für das Stadthaus Ulm, einem Leporello mit zehn digitalisierten Szenefotos von sehr sexy Girls und an den Rand gerückten Jungs, sind alle Schatten zu hart konturierten Flecken geworden. Sein Computerbildarchiv dient dem Remix für jeweilige Verwertungszusammenhänge und deren Anforderungskataloge. Dabei sind seine Fotos teils inszenierter, teils reportierender Art. Auch Sophy Rickett mischt Kino und Reportage. Daß „SlipStreams“, dokumentarisch düstere, schwarzweiße Nachtaufnahmen einer Küstenstraße, viel mehr nach Film, nach frühem Fellini riechen, als das in „Joyrider“ auf die Straße gestellte Mädchen, das seine Hose verloren hat, macht den Reiz der Sache aus. Am weitesten treibt David Shrigley das Spiel um „wirklich“. Seine inszenatorischen Interventionen im jeweiligen Foto sind so minimal, daß man sich ihrer nicht sicher sein kann. Ein guter Anhaltspunkt sind kleine Schrifttafeln, Protestnoten, Zeichnungen. Sie stammen zumeist von dem mit Schere, Papier und Filzstift bewaffneten Fotografen, der auch Karikaturist ist. Noch ist es gewiß, daß Frisbee-Scheiben nicht unter dem Logo „Land Mine“ vermarktet werden.
Bei den Münchner Fotografen traut sich eigentlich nur Eva Leitolf an das binnenfotografische Borderline-Syndrom, das der Ausstellungstitel zur Diskussion stellt. Nach ihren Bildern von Rostock und Solingen, die sie bekannt machten, geht sie mit ihren grell geblitzten, undefinierbar zwischen realem Raum und Kulisse changierenden Wohnungsinterieurs ein hohes Risiko ein. Und zwischen wirklich und gestellt stürzt sie denn auch ab. Für Shrigley ist diese Grenze bedeutungslos, daher geht er sie mit der entsprechenden Nonchalance an, was zu hochexplosiven gelogenen Wahrheiten wie der Landmine auf dem Kinderspielplatz führt. Es ist vielleicht die gewisse Coolness des britischen Humors, die Leitolf fehlt. Ein merkwürdig ernsthaftes Bemühen um Ausdruck, das in ihren Bildern zu Tage tritt, läuft am Ende pompös ins Leere.
Bis 3. 9. Stadthaus Ulm, Katalog 36 Mark; bis 7. 9. Fotomuseum München, Katalog 28 Mark
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