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Kulturschalen statt Kaninchenaugen

Viel zu lange dauert es, bis die Alternativen zu Tierversuchen zum Einsatz kommen  ■ Von Wiebke Rögener

Shampoos sollen nicht in den Augen brennen, Nasensprays keine Nebenwirkungen zeigen, Chemikalien müssen auf ihre ätzenden Eigenschaften untersucht werden. Die Schleimhautverträglichkeit solcher Stoffe wird häufig im sogenannten Draize-Test überprüft: Kaninchen bekommen sie ins Auge getropft, und es werden dabei auftretende Reizungen oder Augenschäden registriert. Nicht nur Tierschützer kritisieren das Verfahren heftig, es liefert auch recht ungenaue Ergebnisse. Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart entwickelten jetzt eine Alternative: Aus der Hornhaut von Schweineembryonen isolierten sie drei Zelltypen und vermehrten sie in Zellkulturen. Dann fügten sie die Zellen wieder zusammen und stellten so eine dreidimensionale künstliche Hornhaut her.

An ihr läßt sich die schädigende Wirkung von Chemikalien sehr genau bestimmen. Gemessen wird der Einfluß auf die Zellatmung, die sogenannte mitochondriale Kapazität. Nach Angaben des Wissenschaftlers Thomas Graeve vom IGB ist das neue Verfahren empfindlicher und genauer als der Draize-Test. Doch bis es diesen eines Tages vielleicht überflüssig macht, wird noch viel Zeit vergehen: Vier bis fünf Jahre, so schätzt Graeve, werden Überprüfung und Zulassungsverfahren mindestens dauern. Angesichts dessen soll eine Zulassung erst beantragt werden, wenn der Aufbau künstlicher Hornhaut aus menschlichen Zellen gelungen ist. Diese fallen als „Abfallprodukt“ bei Hornhauttransplantationen an. Ein solches Modell könnte noch genauer die Wirkung von Substanzen auf das menschliche Auge vorhersagen.

Anders als die Hornhaut aus der Kulturschale ist eine andere Alternative zum Draize-Test schon im Einsatz: Die Eimembran angebrüteter Hühnereier ist schmerzunempfindlich, reagiert aber auf ätzende oder reizende Substanzen. Darauf basiert das von Niels-Peter Lüpke an der Universität Osnabrück entwickelte Het-Cam- („Hen-Egg-Test Chorion Allantoic Membrane“)-Verfahren. Zumindest bei der Identifizierung stark augenreizender Chemikalien ersetzen heute in Deutschland Hühnereier die Versuchskaninchen. Kürzlich wurde der Test auch in Frankreich zugelassen.

Auch für viele andere Tierversuche sind Alternativen in Sicht. So ergab eine gerade abgeschlossene Studie der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (Zebet) in Berlin: Organkulturen menschlicher Haut – ursprünglich für Transplantationen entwickelt – reagieren empfindlich auf Chemikalien, die bei Lichteinstrahlung hautschädigend wirken. Phototoxizitäts-Tests an Tieren könnten damit entfallen.

In einem Verbundprojekt zwischen Industrie und Forschungseinrichtungen fördert das Forschungsministerium (BMBF) seit Herbst vergangenen Jahres Experimente mit Leberzellen. Viele Schadstoffe entfalten ihre Wirkung erst nach Verarbeitung in der Leber. Gelänge es, diesen Prozeß außerhalb des lebenden Organismus nachzuahmen, würden viele Tierversuche überflüssig.

Mehr als 200 alternative Methoden sind bei der Zebet bereits erfaßt. Sie sollen experimentelle Arbeiten an Tieren nach Möglichkeit ersetzen, mindestens aber deren Zahl verringern oder die Methodik so verfeinern, daß die Tiere weniger belastet werden. Nach den englischen Begriffen replace, reduce, refine prägten die britischen Wissenschaftler Russell und Burch schon 1959 die Formel der drei R für diese Ziele.

Tatsächlich geht laut Tierschutzbericht 1997 die Zahl der in Deutschland eingesetzten Versuchstiere zurück, von 2,4 Millionen 1991 auf 1,6 Millionen 1995. Die Ursachen sind vielfältig: Manche Ersatzmethode dient dazu, bereits in einem frühen Stadium von Forschung und Entwicklung Substanzen zu testen, so daß nur noch die aussichtsreichsten Kandidaten in den Tierversuch kommen. Mancher bisher behördlich vorgeschriebene Versuch wurde ganz gestrichen. So muß jetzt nicht mehr jede Charge eines Impfstoffes an Mäusen und Meerschweinchen überprüft werden. Mancher deutsche Forscher verlagerte seine Experimente auch schlicht ins Ausland, um den angeblich zu restriktiven Regelungen des deutschen Tierschutzgesetzes zu entgehen.

Rund 9 Millionen Mark jährlich vergibt das BMBF für den Schwerpunkt „Ersatzmethoden zum Tierversuch“. Es fördert jedoch ausschließlich Projekte, an denen sich die Industrie beteiligt. Hat diese kein Interesse, sind Wissenschaftler für ihre Vorhaben auf andere Geldquellen wie die mit rund 600.000 Mark sehr viel bescheideneren Mittel der Zebet angewiesen. Dort wurde im Frühjahr gerade eine Stelle für das Fachgebiet Forschung gestrichen.

Lang ist der Weg von der Wissenschaft in die Praxis. So dauerte die Diskussion um Alternativen zum umstrittenen Fischtest rund 15 Jahre: Die Giftigkeit von Abwässern wurde bisher bestimmt, indem man Fische darin zu Tode kommen ließ. Zwar sind auch mit Bakterien, Algen und Wasserflöhen Belastungen längst zuverlässig nachweisbar, und einen ersten auf Fischzellkulturen basierenden Test gab es bereits Anfang der achtziger Jahre. Doch erst 1996 einigte sich die zuständige Bund- Länder-Kommission darauf, für einen großen Teil aller Abwässer diese Methoden zuzulassen.

Noch schwieriger sind tierversuchsfreie Verfahren auf internationaler Ebene durchzusetzen. Hier gibt es ganz unterschiedliche Klassifizierungssysteme für Giftstoffe. Nur Tests, die zu allen passen, haben Chancen, weltweit anerkannt zu werden. Und nur solche werden von der Industrie akzeptiert – damit Tierliebe nicht zum Handelshindernis wird. Die OECD-Staaten einigten sich im vergangenen Jahr zwar prinzipiell darauf, Zulassungsunterlagen für Chemikalien untereinander anzuerkennen. Doch zunächst müssen nun alle Methoden auf Vergleichbarkeit und wissenschaftliche Qualität überprüft werden.

Tierversuche für die Entwicklung von Kosmetika sollten ab 1998 in Europa völlig verboten sein. So sah es die 1993 beschlossene Änderung der EU-Kosmetikrichtlinie vor. Doch auch hier galt der Vorbehalt, man müsse sich zunächst auf Ersatzmethoden verständigen. Dies ist bisher nicht geschehen. Die EU-Kommission hat daher den Termin verschoben. Im Jahr 2000 wird erneut beraten. Und so gilt bis auf weiteres: Wer schön sein will, läßt leiden. Oder pflegt sich mit Produkten, die ohne Tierversuche getestet werden.

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