Ein Olympiasieger fängt neu an

Torsten Gutsche gehört zu den erfolgreichsten deutschen Olympioniken. Bei der Kanu-WM in Dartmouth wird er wieder zum Lehrling – im Kajak-Vierer  ■ Von Peter Unfried

Kienbaum (taz) – Als der Frühling da war, er lange darüber nachgedacht hatte und schon richtig brummig geworden war, ging Torsten Gutsche zum Bundestrainer und sagte: „Hör mal, Josef. Zweier möchte ich nicht mehr fahren.“ Josef Capousek hat das nicht gerade mit Begeisterung vernommen. Aber, hat der Chefbundestrainer nach einigem Nachdenken seinerseits gesagt: „Wenn jemand das so lange und so erfolgreich macht, kann man das verstehen.“

Wenige waren erfolgreicher als Gutsche und sein Partner Kay Bluhm. Zweimal Gold in Barcelona, einmal Gold und einmal Silber in Atlanta gewannen die beiden, dazu seit 1989 sieben WM-Titel. Einen Kajak-Zweier, der sich so ergänzte wie die beiden, hat die Kanuwelt selten gesehen. „Exzellente Technik, wunderbare Ästhetik“, sagt Capousek. Vorne saß der größere Bluhm, der Sprinter, bestimmte den Schlag und also das Tempo. Hinten brachte der kleinere Gutsche, das Powerhouse, Kraft und Druck ein, die Geschwindigkeit auch zu halten.

Nicht, daß sie immer gewonnen hätten – meistens. Doch immer wieder wurde es Frühjahr, „wir sind eingestiegen, wußten wie wir uns schnell machten, es war alles bekannt“. Nach Atlanta kam Gutsche sein Tun langsam aber sicher „stupide“ vor. Der Athlet fragte sich: Wie oft will ich noch gewinnen? Vor allem wozu? „Das hätten wir zählen können“, sagt er, „aber es hat für mich keinen Sinn mehr ergeben.“ Kollege Bluhm ging es ähnlich. Bei dem kamen erschwerend ernste Rückenprobleme hinzu, irgendwann sagte er: „Ich will nicht mehr.“ Ist doch klar, beschied Gutsche ihn: „Der hat alles erreicht, warum soll er nicht aufhören?“

Dies ist nun eine Stelle, an der es zwingend geboten ist, einzuwerfen, daß dies für ihn doch auch gelte? „Ja. Klar“, sagt Gutsche und fängt an zu erzählen, wieviel Spaß er jetzt im Kajak-Vierer hat. Noch mehr, seit Capousek ihn von der Position zwei zum Schlagmann befördert hat. „Früher mußte ich immer machen, was Kay wollte“, sagt er – nur halb im Spaß, „jetzt kann ich endlich machen, was ich will.“ Gutsche muß sich daran gewöhnen das Boot nun, wie die Kanuten sagen, zu ziehen und nicht mehr von hinten zu schieben. Wenn man den Vierer so über den See gleiten sieht, scheint es, als seien die vier Athleten in wunderbarer Harmonie. Das täuscht, sagt Gutsche. Auch scheint es, als erfolge das Eintauchen der Paddel parallel. In Wahrheit ist der vierte Mann derjenige, der die „Kelle“ zuerst einsetzt – und mit dem größtem Krafteinsatz. Im Abstand von jeweils Millisekunden folgen die anderen. Im Optimalfall, also so bei wie Bluhm/Gutsche.

Das Kraftpaket Gutsche vorne gibt zwar die Frequenz an, aber er kann nur eine angeben, die die anderen auch halten können. Da ist wenig mit Tagesform oder über sich hinauswachsen. Im Trainingslager in Kienbaum und letzte Woche in Duisburg hat man an der Rennstruktur für die 500 Meter und 1.000 Meter gefeilt. Die, sagt Gutsche, „müssen wir konsequent durchziehen“.

Am morgigen Mittwoch beginnt im kanadischen Dartmouth die WM. Mit 110 bis 115 Schlägen pro Minute wird der Vierer Gutsche/Zabel/Bach/Winter dann durch das Wasser peitschen; im optimalen Fall, schätzt Gutsche, reicht es nach durchwachsenem Saisonverlauf zu Bronze über die Langstrecke.

Gutsche ist Industriekaufmann, lebt, trainiert und arbeitet in Potsdam. Letzteres bei der Mercedes Benz AG. Von 9 bis 15 Uhr. Davor trainiert er, danach noch mal, dreibis dreieinhalb Stunden am Tag, damit, sagt er, „komme ich hin“. Kanuten müssen alle arbeiten, auch solche, die drei Olympiasiege geschafft haben.

Das ist natürlich ein Thema mit dem man ihm nicht zu kommen braucht. „Was soll ich sagen“, sagt er. Aber dann erzählt er doch von den Sportlerbällen, den Empfängen nach seinen Olympiasiegen, als er andere Olympiasieger und Weltmeister kennenlernte. Henry Maske, zum Beispiel, und andere, „die im Rampenlicht stehen“, wie er das nennt. Eine Woche vielleicht, schätzt Gutsche, aber nicht sein ganzes Leben. „Für mein Ego ist es gut“, sagt er, „ich habe es dreimal geschafft.“ Ansonsten kann er sich ins Kino setzen, ganz normal, wie man so sagt, mit seiner Freundin, die Manuela Mucke heißt und natürlich auch Kanu- Olympiasiegerin ist. Die Kanuten leben überhaupt in einer eigenen Welt. Die wird dominiert von Cheftrainer Capousek – und dessen Lebensabschnittsgefährtin, die Birgit Fischer heißt und fünfmal Olympiagold gewonnen hat. Gutsche kommt danach. Er ist einer, der „weiß, wann man den Mund aufmachen muß“ – und wann man ihn besser hält.

Fünfmal Gold gewann der Deutsche Kanu-Verband (DKV) in Barcelona, noch dreimal Gold in Atlanta. Dreimal Gold, je fünfmal Silber und Bronze muß man in Dartmouth verteidigen. In Atlanta hat man sich noch einmal zur „Kanu-Nation Nr. 1“ (Capousek) aufgeschwungen, doch das Erbe der DDR wird langsam weniger.

Capousek, der Chef, sucht den Nachwuchs, eine neue Birgit Fischer gefunden hat noch nicht. Na ja, die alte fährt ja auch noch, und mit Gutsche hat er abgesprochen, daß der Aktivensprecher bei weiterhin guter Infrastruktur das Team nach Sydney führen soll. Dann hätte einer einen ganz schön langen Weg hinter sich, den man damals in Eisenhüttenstadt zum Kanufahren schickte, nachdem sich beim Handball schnell herausgestellt hatte, daß er zwei linke Hände hatte.

Wie das immer so geht: Dann war einer krank, und der Trainer sagte: Komm, setz dich zum Bluhm rein. Und dann gewannen die beiden acht Jahre lang. Und nun ist Torsten Gutsche gerade erst 29, und es klingt richtig fröhlich, wenn er sagt: „Ich bin froh, daß ich noch mal was Neues angefangen habe. Ich glaube, das wird noch ganz erfolgreich werden.“