piwik no script img

Angst am Strand von Rimini

Nach einer Reihe von Vergewaltigungen, die farbigen Strandverkäufern angelastet wurden, fürchten sie eine neue Hatz gegen Migranten  ■ Aus Rimini Werner Raith

Seine „Lebensversicherung“ glaubte Abdel Kosua aus Tunis bislang eigentlich unanfechtbar bei sich zu tragen: ein Schreiben des Präfekten von Rimini, wonach der 35jährige seit 1986 in Italien aufhältig sei, sich nie etwas zuschulden hat kommen lassen und den Behörden mit allerlei Arbeiten wie Übersetzen und Verfassen von Schreiben nützlich gewesen sei. Als „Marocchino“, wie die ambulanten Händler genannt werden, weil die allerersten von ihnen in den sechziger Jahren aus Marokko gekommen waren, sollte die „Versicherung“ ihn vor allem gegenüber Carabinieri und Polizei schützen, wenn die gerade mal wieder Illegale aufzuspüren suchten und dabei nicht allzu wählerisch waren. Wer als „Vucumpra“ unterwegs ist – eine Verballhornung von „vuoi comprare“, willst du kaufen –, gilt vielen automatisch als halbseiden, obwohl die meisten von ihnen, nach neuesten Statistiken, korrekter ihre Steuern bezahlen als die Italiener selbst und seltener straffällig werden.

Doch das alles nützt nichts, sowenig wie Abdels Schreiben derzeit etwas wert ist: „Jetzt komm' ich doch gar nicht mehr dazu, den Zettel rauszuziehen“, klagt er, „weil die einen gleich am Wickel haben und loszudreschen drohen, und am Ende zerreißt mir noch einer von diesen Hysterikern das Schreiben.“ Diese „Hysteriker“, das sind keine Ordnungshüter, sondern aufgebrachte Bürger, „die davon ausgehen, daß farbige Zuwanderer überhaupt nichts anderes im Sinn haben, als italienische Frauen zu vergewaltigen“. Und diese Bürger, teilweise organisiert in selbsternannten „Nachtschutzpatrouillen“, fragen nicht lange nach Ausweisen und Genehmigungen – „da zeigt einer auf dich, und schon sind sie hinter dir her“.

So hat sich Abdel vorige Nacht gegen 11 Uhr nur durch einen Spurt von fast einem Kilometer den Strand entlang und dann mit einem Haken hinauf auf die Promenade und in den Garten des Grand Hotels zu retten vermocht, wo ihn einige beherzte Schweden zuerst einmal in Sicherheit gebracht haben. Der Grund für die Hatz: Aus irgendeinem dunklen Winkel hinter der Piazzale Kennedy waren Frauenschreie zu hören gewesen, und sofort hatte sich eine Anzahl meist junger Italiener zur Treibjagd auf alle aufgemacht, die da als „Vucumpra“ zugange waren – „als hätten die nur auf so was gewartet“.

Abdels Warentasche ging dabei vorübergehend perdu – „in diesem Fall war es aber ein Vorteil, daß die mich für den Täter hielten“, sagt er, „denn so haben sie den Beutel sichergestellt und der Polizei übergeben, damit sie mich ausfindig macht“. Sonst hätte er ihn wohl nicht wiedergesehen.

Die Ermittlungen ergaben dann, daß da lediglich ein massiver Familienstreit ausgebrochen war und die Frau am offenen Fenster geschrien hatte, als sie von ihrem Mann einen Eimer Wasser übergespritzt bekommen hatte – ein inneritalienischer Vorgang mithin. „Trotzdem“, sagt Abdel und ordnet seine Wickeltücher und Schals den linken Oberarm hinauf, nimmt ein Dutzend prächtig schillernder Halsketten in die Hand und schwingt sich mit kühnem Dreher die riesige, immer noch volle Plastiktasche unter die rechte Schulter: „Ich fürchte, die Situation hier wird erst wieder zu unseren Gunsten kippen, wenn sie den ersten ,Marocchino‘ gelyncht haben.“ Er kennt sie, die Italiener, sagt er: „Immer sehr schnell zu heftigen Reaktionen bereit, aber in jeder Richtung – sie stehen eigentlich immer auf seiten derer, die sie für schwächer halten“. Und derzeit halten sie eben die Frauen und Mädchen für schwächer, die da angeblich ständig angefallen werden.

Bis vorige Woche war es durchaus andersherum: In der Nähe von Turin hatten junge Burschen nach einem Streit mit einem Farbigen Hatz auf diesen gemacht, und als der Mann zu seiner Rettung in den Fluß sprang, ihn so lange vom Ufer zurückgetrieben, bis er ertrank. Da ging eine „Welle von Solidarität mit uns Immigranten durch Italien“, sagt Abdel. Er hält einer Frau, der Hautfarbe nach zu schließen eben erst angekommen, seine Ketten vors Gesicht: „Vu cumpra, schön Frau, kaufen, buy, vu cumpra?“ – 20.000 Lire für drei Kettchen und ein Tuch kassiert er wenig später. „Seh' ich schon von weitem, ob eine kauft.“ Er ist eben Spezialist.

„Aber nun“, kommt er wieder auf sein Thema zu sprechen, „jetzt sieh dir mal das an“, sagt er und zieht die Zeitung aus der Tasche. Da steht es, er muß es einem nicht mehr wiederholen, was der Führer der separatistischen Liga Nord, Umberto Bossi, nach den angeblichen Vergewaltigungen gefordert hat: „Arbeitslager für alle illegalen Einwanderer“, steht da, und den Rest, die legal Zugewanderten, will er „möglichst schnell wieder loswerden“, Verlängerungen von Arbeits- und Aufenthaltserlaubnissen will er keine mehr ausgestellt wissen. Darunter ein zweiter Artikel: Auch Deutschlands Finanzminister Theo Waigel fordert schärferes Vorgehen gegen Immigranten. Feine Gesellschaft.

Zwar widersprechen Bossi in Sachen Arbeitslager zahlreiche auch bedeutende Funktionäre seiner Partei, aber „das Wort ist nun mal da“, sagt Abdel und setzt seine Tasche einen Augenblick ab. „Und das gerät auch nicht mehr so leicht aus der Diskussion.“ Er atmet tief durch. „Als ob viele von uns nicht sowieso schon im Arbeitslager lebten.“ Die Anspielung ist bitter – sie bezieht sich auf die Tausende illegaler Immigranten, die von ausbeuterischen Bauern, Camorrabanden und brutalen Fischern außerhalb der Arbeit an jeglichem Ausgang gehindert werden, bewacht in verfallenen Häusern vegetieren oder auf den Fischkuttern schuften.

Quuanti, ein Schwarzafrikaner, der seit drei Jahren legal in Italien lebt, setzt sich zu uns. „Heut nix zu machen, alle bös“, sagt er, „sagen schlimme Dinge.“ Offenbar läßt da auch so mancher Einheimische einfach die Wutz raus – einer hat Quuanti aufgefordert, seine Hose herunterzulassen, „mal sehen, was er tatsächlich bringt“.

Situationen, die immer mehr pervertieren: Als sich ein italienischkundiger Amerikaner eingemischt und darauf hingewiesen hat, daß von den vier seit voriger Woche gemeldeten Vergewaltigungsversuchen zwei nachweislich von Italienern ausgingen, machten die prügelwütigen Jungs Front gegen ihn, machten ihn als „Sklaventreiber“ und „Giftspritzer“ herunter – wohl wegen der Exekution des in Italien als unschuldig erachteten Joseph O'Dell vor einem Monat; schließlich forderten sie nun ihn auf, das Land zu verlassen – „sonst stecken wir dich als ersten ins Arbeitslager“.

Eine „enorme, unerklärliche Nervosität“ beobachtet Riminis Bürgermeister Giuseppe Chicchi in einer mehrmals im Fernsehen und im Rundfunk übertragenen Erklärung, „dabei ist bei uns alles unter Kontrolle, die sexuellen Übergriffe liegen zahlenmäßig sogar noch unter denen vom Vorjahr. Nur eben, daß heuer alles „viel dramatischer gesehen wird, besonders die Situation mit den Immigranten“.

Die Stimmung, meint der Bürgermeister, sei de facto „ohne Vergewaltigungen schon recht negativ“ – Folge der anhaltenden Wirtschaftskrise, die vielen Ladenbesitzern die früher üppigen Umsätze reduziert hat, so daß sie nun selbst die bescheidenen Verkäufe der Strandhändler bereits als ultimative Bedrohung ihrer Existenz ansehen. „Dabei führen die doch unser Zeugs in ihren Geschäften gar nicht“, sagt Abdel verzweifelt, doch da belehrt ihn Quuanti eines anderen: „Denen geht's nicht um die Konkurrenz der Waren, die rechnen einfach so: Jeder Tourist hat soundsoviel Geld dabei, und wenn er bei uns für 10.000 Lire einkauft, kann er sie nicht mehr im Pub oder in der Boutique ausgeben.“

Vor der Rotonda hält uns eine Zivilstreife an. Ausweise, Fragen, ob uns vergangene Nacht etwas aufgefallen ist, Ratschläge, nicht nach Einbruch der Dunkelheit an unbeleuchteten Plätzen zugange zu sein. „Unbeleuchtete Plätze“, fragt Quuanti, „wo gibt's die denn noch?“

Tatsächlich ist seit den letzten Vergewaltigungsnachrichten Riminis Nacht zum Tage geworden; der Strand wird bis zum Morgengrauen in Flutlicht getaucht, Dutzende von Fernsehteams halten zudem noch ihre Punktstrahler in die Gegend oder haben Jupiterlampen aufgebaut. Schon beschweren sich die Gäste „häufiger darüber, daß sie bei dem grellen Licht, das durch jede Ladenritze bricht, nicht schlafen können, als daß sie Angst äußern, überfallen zu werden“, sagt der Espresso- Barkeeper im Hotel Continental, bei dem Abdel einen Moment seine Sachen abstellt, um ein paar Freunde anzusprechen, die sich nicht in die Halle herein trauen. „Die fürchten jetzt schon, daß sie einer totschießt, wenn sie nur mal auf die Toilette wollen“, sagt der Espressobereiter.

„Na und“, motzt einer der Kellner vom Frühstücksraum, „ist doch gut so, die müssen doch nicht alle bei uns scheißen.“ Wenig später gibt er sich als Mitglied einer der „Bürgerwehren“ zu erkennen, die schon seit Jahren Rimini sicherer zu machen trachten, „mit gutem Erfolg“, sagt er stolz. „Na also?!“ – „Nichts na also: Heuer kommt eben dazu, daß es Marocchini sind, die vergewaltigen.“ – „Aha, wäre wohl weniger schlimm, wenn es Einheimische wären, nach dem Motto: Wenn jemand unsere Frauen vergewaltigt, dann wir selbst...“ – „Idiot!“ schimpft er los, „natürlich meine ich's nicht so, aber Gäste müssen sich eben wie Gäste verhalten, da legt man eine andere Latte an.“ Rassist sei er bestimmt nicht, aber „so geht es eben nicht.“ Schließlich habe man schon oft Streit zwischen Italienern und Immigranten und auch oft zwischen diesen Immigranten selbst geschlichtet. Was der Barmann bestätigt.

Das Fernsehen überträgt gerade ein neues Interview mit dem Bürgermeister. Er glaubt jetzt, die Lösung gefunden zu haben: „Die ambulanten Händler aus Nicht-EU-Ländern“, sagt er, „sollen künftig einen Gewerbeschein für die Region vorweisen müssen, in der sie arbeiten“, und die Region – eine Verwaltungseinheit ähnlich unseren Bundesländern – „soll diese Genehmigungen für ihr Gebiet verweigern können, wenn davon die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt werden könnte“. Da schüttelt selbst unser Bürgerwehrler den Kopf: „Abgesehen davon, daß man das doch gar nicht durchsetzen kann, die Region hat ja keine eigene Polizei: Wer setzt denn da fest, wann etwas gefährlich ist? Das gibt doch bloß Lawinen von Prozessen.“

Der Bürgermeister scheint mit seinem Vorschlag aber sowieso allenfalls auf Zeit zu spielen; am Ende sagt er, er wolle eben „ein wenig provozieren, das bringt vielleicht ein paar phantasiereiche Gehirne in Schwung, damit wir eine gute, menschliche Lösung finden“.

Abdel, der nur den letzten Teil der Rede gehört hat, nickt. „Wäre schön. Aber wahrscheinlich geht's dann ab jetzt darum, zu definieren, was man unter ,Mensch‘ versteht, und ob ,Marocchini‘, die angeblich nur vergewaltigen wollen, auch darunter fallen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen