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Aus der Traum vom guten Leben

■ Die ersten tschechischen Roma sind aus Kanada schon wieder nach Hause zurückgekehrt. Prag verspricht Besserung

Prag (taz) – Gerade mal 48 Stunden dauerte der Traum vom glücklichen Leben in Kanada für die mehrköpfige Roma-Familie aus Mähren. Dort hatte sie Zuflucht vor der Diskriminierung in ihrer alten Heimat gesucht. Doch die kanadischen Einwanderungsbestimmungen setzten ihrem Vorhaben ebenso wie dem von weiteren zwei Dutzend Roma am Wochenende ein abruptes Ende. Sie hätten die englischen Fragebögen nicht ausfüllen können, zudem hätten sie bis zur Anerkennung als Flüchtlinge weder finanzielle Hilfe noch Unterkunft erhalten. Das sei im Fernsehen nicht gesagt worden, erklärte der enttäuschte Familienvater nach der Rückkehr.

Wie Dutzende andere Roma hatte die Familie ihre Koffer gepackt, nachdem das Privatfernsehen Nova vor knapp zwei Wochen eine Reportage über die paradiesischen Zustände für Roma-Emigranten aus Tschechien in Kanada ausgestrahlt hatte. Gezeigt wurde eine Idylle, die im krassen Gegensatz zum Alltag in Tschechien steht. Denn hier gehören die rund 300.000 Roma zu den Verlierern der Samtenen Revolution. 70 Prozent von ihnen sind arbeitslos, landesweit liegt die Rate bei gerade mal vier Prozent. Zu den sozialen Problemen der Roma kommt der latente tschechische Fremdenhaß.

Wenn sie das Geld für die Tickets hätten, würden sie gehen, erklärt eine Roma-Mutter in Prag. Die Liste der Gründe, die sie wie Hunderte andere von einem Leben in Kanada träumen läßt, ist lang: keine Bildungschancen, Diskriminierung bei Wohnungs- und Arbeitssuche, Eintrittsverbote in Restaurants und Kneipen, die alltägliche Angst vor Überfällen. In den vergangen sieben Jahren sollen mindestens 20 Roma von Skinheads erschlagen worden sein.

Überrascht von den Reaktionen auf die Reportage zeigte sich deren Autor. Voll Stolz erklärte der Direktor des Privatsenders Nova, das dieser seine Pflicht erfüllt und auf ein brennendes Problem hingewiesen habe. Anders sehen dies jedoch Regierung, Medienrat und kanadische Behörden – sie werfen dem Sender Fehlinformation und Irreführung vor.

Nicht wenige Tschechen indes freuten sich über die Wirkung des Beitrages. In einer bereits vor einem Jahr durchgeführten Umfrage sahen 45 Prozent der Befragten in einer Aussiedlung der Roma aus Tschechien eine Lösung des von ihnen gerne als „Roma-Frage“ bezeichneten Problems. Besagte Fernsehreportage inspirierte nun eine Stadtteilbürgermeisterin in der mährischen Industriestadt Ostrava. Diese bot den Roma Geld für den Kauf der Flugtickets an, sollten sie wirklich die Stadt verlassen. Sie sei keine Rassistin und wolle die „Zigeuner ja nicht ins Gas schicken“, aber sie wolle nicht mit ihnen zusammenleben, erklärte die Lokalpolitikerin der „Demokratischen Bürgerpartei“ (ODS) von Premier Václav Klaus. Und traf damit den Nerv: 87 Prozent der Tschechen wollen keine Roma als Nachbarn. Ins gleiche Horn stieß ein Prager Stadtteilbürgermeister der ODS, der die Umsiedlung von Roma-Familien vor die Stadttore propagierte. Die Regierungspartei distanzierte sich zwar von den Vorhaben ihrer Lokalpolitiker, sah in diesen aber lediglich unglückliche Äußerungen.

Doch die mögliche Massenflucht der Roma hat auch ihr Gutes: Sie schockierte viele Bürger und Politiker, denen erst jetzt die unerträgliche Situation der Roma bewußt wird. Doch besorgt ist die Regierung jetzt vor allem um den internationalen Ruf des Landes. Premier Klaus forderte die Roma auf, zu Hause zu bleiben, versprach Besserung und die Einrichtung eines regierungsnahen Sekretariats für Roma-Fragen.

Eine Kostprobe ihres guten Willens gab die Regierung am vergangenen Wochenende. Nach langen Diskussionen wurde im ehemaligen KZ im mährischen Hodonin ein Denkmal für die Roma- Opfer eingeweiht. An der Feier nahmen rund 200 Personen teil, die hohe Politik glänzte durch Abwesenheit. Nur der für Minderheiten zuständie Minister ohne Portefeuille ehrte im Namen der Regierung das Andenken der Roma-Opfer. Katrin Bock

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