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Mit erhobenem Mittelfinger

■ Die Chemical Brothers geben sich maskulin und tragen für ihren Big Beat die lautesten Effekte der letzten zehn Jahre Jugendkultur zusammen

Big Beat, Big Business. Auch wenn es nur der altbekannte englische Pop-Verstärker war, der DJs auf Rock-Bühnen getrieben hat, unschuldig ist hier keiner mehr. Während durch die melancholisch-getragene Beat & Sample-Kunst von Massive Attack, Smoke City oder Portishead Träume und Gefühle ins Marketing-Instrumentarium kommen, befeuert die „Egal-was-Hauptsache-es-kracht“-Musik, die Big Beat genannt wird, in noch höherem Maße die Entertainment-Industrie. So wie hier die besten Effekte aus den letzten zehn Jahren der Jugendmusik zusammengetragen werden, kommen sich auch die Branchen näher. Der Comic zum Film mit dem Computerspiel, die Actionfiguren zur Streetwear mit dem Energydrink – allesamt unterlegt und gebunden von treibenden Rhythmen, dicken Bässen und gesampelten Gitarren. Das ist das einfache Geheimnis dieser Musik: Sie ist praktikabel und zielgerichtet, garantiert maximalen Sound und hat trotz elektronischer Bauweise und Rhythmusfixierung genug Rock für ein möglichst breites Spektrum an Zielgruppen.

Die Chemical Brothers, um auf den letzten großen historischen Schaukampf zu verweisen, besetzen in diesem Markt die Rolle von Blur, während Prodigy nicht nur durch ihren immensen Erfolg, sondern auch durch offensives Rüpeltum mit Oasis gleichgezogen haben. Auch musikalisch steckt etwas in dieser Analogie. Während sich die Musik von Liam Howlett nach gleichbleibendem Rezept immer nur um den großen Effekt dreht, gönnen sich Tim Rowlands und Ed Simons auch gerne einmal eine längere ausformulierte Klangreise. Im Gegensatz zu den vier bewegungsfreudigen Comic-Charakteren sind die Chemical Brothers halbherzige, gelangweilte Anti-Stars, die sich einen Dreck um Personality-Kult scheren – was allerdings ob ihres leicht schmierigen Dosenbier-Aussehens auch besser ist.

Beide sind sie Pop-Freunde, die einstmals durch die Energie von Public Enemy aufgerüttelt wurden. Dann kam Acid, House, Clubs, Ausgehen. Und Selbermachen. Wobei den falschen Brüdern ihr aus der Acid-Tradition übernommene Absicht, den großen Song des Abends zu machen, zugute kommt. Doch für diesen Moment mußten neue Sounds und neue Strukturen her, ging es darum, zu kombinieren, sich aus allem das Effektivste zu holen. Acid mit Breakbeats, HipHop und House.

Wichtig ist nur, daß es durch das aus Drum & Bass bekannte Miteinander von treibend-perkussiven und tiefen dubbigen Elementen bestimmt wird. Ob Instrument oder Sampler, spielt dabei keine Rolle. Hauptsache, es klingt gut und Hauptsache, die Beats stimmen. „Wir mögen maskuline Musik“, faßt es Ed Simons zusammen, was sich auch in dem knackigen Plattentitel Dig Your Own Hole wiederfindet, einer Phrase, die zwar nach seiner Aussage lediglich den Wunsch nach Individualität ausdrücken soll, dabei aber wie ein erhobener Mittelfinger daherkommt.

Holger in't Veld Do, 21. August, 20 Uhr, Docks

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