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Seltsame Schlüsse

■ betr.: „Neue Checks and Balances“, taz vom 15. 8. 97

Seltsame Schlüsse werden in dem obengenannten Artikel gezogen. Wieso ist es nicht legitim, jemand, der meint, Verfassungsprinzipien opfern zu müssen, damit eine relativ kleine Zahl von UnternehmerInnen besser auf der globalen Spielwiese agieren und finanziell profitieren kann, als „Verfassungsfeind“ zu betiteln? Einem „Diskussionsverbot“ gleicht eine solche Titulierung keinesfalls. Es ist vielmehr eine Feststellung, die notwendig ist, um den vorlauten Tönen einiger sich rein an Marktprinzipien orientierender PolitikerInnen etwas entgegenzusetzen. Es entsteht der Eindruck, Du wolltest Dich Henkel und Co. anschließen, und kommst schließlich dazu, daß „in einer globalisierten Wirtschaft ernstgemeinte Entscheidungen ohnehin auf immer höherer Ebene gefällt werden“ müssen. Die Begründung für diese Behauptung bleibst Du schuldig.

Weiterhin bleibt unklar, warum denn eigentlich nur in den Kommunen und Regionen bürgernahe Politik gemacht werden kann. Klar ist, daß politische Entscheidungen auf kommunaler und regionaler Ebene viel schneller und unmittelbarer spürbar sind. Daraus zu folgern, daß strukturell eine Bürgernähe den Kommunen und Regionen innewohne, ist eine krumme Logik. Auch auf nationaler und internationaler Ebene kann bürgernahe Politik gemacht werden. Das kostet aber viel Arbeit, Mühe und Zeit, braucht eigene Konzepte und ein eigenes „Demokratiemanagement“. Daher wäre es viel interessanter, sich darüber Gedanken zu machen, wie denn auf der Ebene der Länder und auch auf Bundesebene mehr Bürgernähe erreicht werden kann. Statt dessen springst Du auf einen Zug, der ohnehin seit mehreren Jahren rollt und spätestens seit der Öffnung des europäischen Binnenmarktes von den in der EU lebenden Menschen bemerkt worden ist.

Sicher ist es legitim, bereits in der Diskussion und im Bewußtsein befindliche Dinge zu thematisieren, um damit der Sache einen neuen Schub geben zu können. Allerdings tun dies in der Regel PolitikerInnen – meist allerdings nur, um sich zu profilieren, und nicht um der Sache willen. JournalistInnen sollten bemüht sein, neue Aspekte und Fakten ans Licht zu bringen.

Ein Abbau der föderalen Grenzen ist innerhalb der operativen Politik lange schon im Gang und wird von sehr wenigen in Frage gestellt. Dies zu beschleunigen, um die Umsätze von Henkel und anderen Firmen zu steigern, scheint bedenklich. Rechtfertigungen hierfür durch das Argument der Arbeitsplatzbeschaffung dürften wohl nicht mehr greifen aufgrund der gegenteilig gemachten Erfahrungen innerhalb der letzten Jahre. Viel berechtigter sind die Aufhebung der förderalen Grenzen und die Stärkung der Kommunen und Regionen, um der Bildung neuer, sich föderal konstituierender Nationalismen vorzubeugen und mittels der Stärkung von Kommunen und Regionen eine örtlich begründete Identifikation zu gewährleisten. Die hierfür notwendigen örtlichen Einheiten sollten dann ein gewisses territoriales Ausmaß nicht übersteigen, damit Utopien von Unabhängigkeitsbewegungen nicht grassieren können. Oliver Schilling, Bonn

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