: Minsk gibt nach
■ Auf Druck von Moskau läßt Weißrußland verhaftete Journalisten frei
Berlin (taz) – Das Maß scheint in Moskau voll zu sein. Gestern forderte der Sprecher des Kreml, Sergej Jastrschembski, die weißrussische Regierung ultimativ dazu auf, die sechs verhafteten Journalisten des russischen Fernsehsenders ORT freizulassen. „Die Geduld Moskaus kennt Grenzen“, polterte Jastrschembski und setzte noch einen drauf. Sollten die Journalisten nicht im Laufe des Tages freikommen, sehe er „düstere Perspektiven“ für die russisch-weißrussische Union. Wenn es um die Verteidigung der Ehre russischer Bürger gehe, müßten geopolitische Erwägungen zurückstehen. Diesmal reagierte Minsk. Die Regierung kündigte an, daß vier Journalisten am Nachmittag freigelassen werden sollten. Zwei weißrussische ORT-Mitarbeiter sollten weiter in Haft bleiben.
Ausgelöst worden war der Streit zwischen Moskau und Minsk Ende Juli, als drei Mitarbeiter des Senders ORT unter dem Vorwurf des illegalen Grenzübertritts an der weißrussisch-litauischen Grenze verhaftet worden waren.
Obgleich Unterdrückung und gewaltsames Vorgehen gegen kritische Journalisten in Weißrußland schon lange an der Tagesordnung sind, fühlte sich sogar Rußlands Staatspräsident Boris Jelzin herausgefordert. Man werde, wenn nötig, den Unionsvertrag mit Minsk überdenken, ließ Jelzin wissen. Was seinen weißrussischen Amtskollegen, Alexander Lukaschenko, der hinter jeder kritischen Stimme eine Verschwörung westlicher Geheimdienste wittert, nicht davon abhielt, weiter auf Journalistenhatz zu gehen. Am vergangenen Wochenende endete die Recherche von drei ORT-Vertretern im weißrussisch-litauischen Grenzgebiet erneut im Knast. Dabei wollten die Journalisten nur dokumentieren, was ohnehin schon jeder weiß: Schlampige Kontrollen, die die Zollunion zwischen Moskau und Minsk mehr als fraglich erscheinen lassen.
Einer der Festgenommenen beschuldigte sich am Montag, ein Verbrechen begangen zu haben und entschuldigte sich bei Lukaschenko. Was ORT zu dem Kommentar veranlaßte, dieses Verhalten erinnere stark an die Schauprozesse unter Stalin in den 30 Jahren und: „Wahrscheinlich werden auch die anderen verhafteten Journalisten mit Gewalt zu solchen ,Geständnissen‘ gezwungen.“ Barbara Oertel
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