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Sonnenstudios sind out

■ Die Zahl der ExistenzgründerInnen steigt, doch die Hälfte von ihnen scheitert. Zwei Hamburger Experten geben Tips: Ohne Eigenkapital läuft nichts

taz: Kann ich mit 5000 Mark eine Existenz gründen?

Daniel-Roger Marker (Hamburger Initiative für Existenzgründungen und Innovationen, H.E.I.): Nein, im produzierenden Gewerbe nicht, da müssen Sie Maschinen kaufen. Aber im Dienstleistungsbereich haben Sie eine Chance.

Stefan Papirow (BürgschaftsGemeinschaft Hamburg): Wenn Sie zum Beispiel eine Stadtteilagentur für Tauschgeschäfte aufmachen wollen, dann brauchen Sie nur einen PC und einen Drucker, und das war's dann schon.

Aber Ihr Eigenkapital von 5000 Mark sollte ja nur die Grundlage sein für das, was dann von anderer Seite kommt an Krediten. Das Eigenkapital sollte dabei mindestens 15, 20 Prozent betragen.

In den 80er Jahren gab es Uschis und Sabines Wollädchen. Kann man damit heute noch was werden?

Papirow: Uschi und Sabine sind auch schon Ende der 80er Jahre normalerweise nichts geworden – das diente eher der Selbstverwirklichung, im Hintergrund stand der verdienende Ehemann. Das Lädchen an sich ist einfach keine tragfähige Existenzgrundlage.

Egal ob Wolle oder Käse?

Papirow: Egal.

Gibt es heute zu Uschis Wollädchen ein Pendant?

Papirow: Reisebüros und Pflegedienste. Die sind wie Pilze aus dem Boden geschossen, da ist der Wettbewerb sehr groß.

Wer hat denn überhaupt eine Chance?

Papirow: Alle, die ein Komplettangebot anbieten zum Beispiel. Früher mußten wir für das Publizieren unseres Geschäftsberichts eine kreative Agentur suchen und einen Drucker, dann das Material liefern, zum Teil sogar noch den Text. Heute gibt es sehr gute Anbieter für alles zusammen. Gut geht auch höchstwertiges Handwerk. Wir fördern zum Beispiel einen Anbieter von Hifi-Anlagen, zum Teil selbstgebastelt. Dafür kommen Freaks aus ganz Norddeutschland angereist. Oder Ausgefallenes – wir haben eine Hutmacherin gefördert.

Rund 50 Prozent der GründerInnen scheitern in den ersten fünf Jahren. Woran?

Papirow: Erstens: Finanzierungsmängel – da hat einer sein Geld ausgegeben und sich dann erst beraten lassen. Zweitens: Informationsdefizite – da haben welche aus der Euphorie heraus Sonnenstudios aufgemacht und dann erst gemerkt, daß die out sind. Drittens: Qualifikationsmängel – gelernter Schneider, fachlich top, kaufmännisch ein Chaot.

An vierter Stelle kommen aber gleich die Familienprobleme. Wer sich selbständig macht, muß vorher mit dem Partner, der Partnerin klären: Nach drei Jahren hab ich vielleicht 'ne dolle Chance, aber voher ist unheimlich Einsatz gefragt – kein Urlaub, sieben Tage die Woche Arbeit ... bist du dazu bereit?

Frauen sind erfolgreichere Existenzgründer als Männer. Unter den Gründern machen sie ein Drittel aus, unter den Pleitegängern aber nur ein Viertel. Wie kommt das?

Marker: Männer legen erstmal los. Frauen dagegen checken zum Beispiel genau ab, ob ihre Idee wirklich marktfähig ist. Sie sind einfach vorsichtiger.

Papirow: Wie beim Autofahren. Frauen gründen außerdem nicht so kapitalintensiv, so daß sie mit weniger Schaden auch wieder rauskommen, wenn's schiefgeht.

Die Gründerzahlen steigen – nicht zuletzt wegen der Konjunkturkrise. Kommen auch Arbeitslose zu Ihnen in die Beratung?

Marker: Zunehmend. Mittlerweile sind rund 20 Prozent unserer Ratsuchenden arbeitslos.

Haben die genauso gute Chancen?

Marker: Ja, wenn sie noch nicht zu lange arbeitslos sind, wenn sie also noch Kontakte aus der Arbeit bei ihrer alten Firma haben, wenn sie wissen, was störte den Kunden an meiner Firma ...

Eine gute Idee allein nützt ja wenig. Ich brauche Startkapital. Nun wird viel über die deutschen Banken geschimpft, die würden für neue Ideen nur zögerlich Geld rausrücken.

Papirow: Bankenschelte ist nicht angebracht. Die Banken verfügen ja nur über fremdes Geld, das sie gewinnbringend anlegen sollen.

In den USA stecken Leute Geld in eine neue Firma ohne jede Sicherheit, aber in der Hoffnung, irgendwann eine tolle Rendite zu kriegen. Und das klappt ja offenbar auch häufig. Risikokapital nennen sich solche Geldspritzen für Existenzgründer. Wieso gibt es das hierzulande so wenig?

Papirow: In Amerika gibt es ganz andere steuerliche Möglichkeiten für einen, der Geld in eine hochinnovative Branche wie zum Beispiel die Solarforschung steckt. Der deutsche Gesetzgeber muß eben Möglichkeiten schaffen, daß auch private Kapitalgeber Verluste aus solchen Investments abschreiben können und die ersten Gewinne nach fünf Jahren nicht voll versteuern müssen.

In Deutschland können JungunternehmerInnen also nur auf Kredite hoffen. Dafür müssen sie den Banken Sicherheiten anbieten: ein Haus, ein Sparbuch, Wertpapiere ... Und wenn man das alles nicht hat?

Papirow: Da springt dann die Hamburger Bürgschaftsbank ein, die verbürgt sich gegenüber der Bank für 80 Prozent des Kredits. Wenn das Konzept stimmt und die Persönlichkeit des Gründers. Von 100 Krediten gehen dann auch nur zwei den Bach runter.

100 Prozent auf Pump geht also nicht?

Marker: Nein. Sie können sich natürlich einen Partner mit Geld suchen. Oder wenigstens einen, der einen geldwerten Vorteil mit einbringt, zum Beispiel einen Vertriebsexperten. Zur Not muß man das Unternehmen verschieben, bis man angespart hat. Oder man wendet sich an die Verwandtschaft.

Wenn man Geld mitbringen muß, dann ist Existenzgründung kaum eine Möglichkeit für Arbeitslose. Von seiten der Politik heißt es immer öfter: Macht euch doch selbständig!

Papirow: Wenn kein Eigenkapital da ist, wenn jemand ganz mit Null ankommt, sehe ich keine Möglichkeit, sich hier erfolgreich zu gründen. Denn diese Funktion, Risiko zu übernehmen, die kann ich nicht völlig auf andere Schultern abwälzen.

Fragen: Christine Holch

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