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■ Die Hochschulen auf dem Weg zwischen staatlicher Verwaltungsstarre und ungehemmtem MarktanspruchDer Rahmen ist da, das Bild fehlt noch

Alle sind zufrieden, das ist verdächtig. Bundesminister Rüttgers, Bayerns Zehetmaier, Rheinlands Zöllner, alle können sie mit dem Einigungspapier zum Hochschulrahmengesetz „leben“. Im politischen Klartext heißt das, man hat seine Ziele nur dort erreicht, wo das Konfliktpotential für eine echte Auseinandersetzung nicht trägt oder lohnt.

Der Vorwurf der (linken) Studierendenverbände und der (sehr konservativen) Professorenorganisationen ist zu flach, um zu provozieren: Da würde eine bloße Rationalisierung und betriebswirtschaftliche Dynamisierung zu Lasten der Inhalte und der Qualität betrieben. Nicht einmal das. Aber dennoch ist das Einigungspapier wichtig und – mein erster Kommentar – besser als nichts.

Erstens: Die Politiker haben begriffen, daß es eines Rahmenrechts mit differenzierten Bestimmungen bedarf, gerade um die Länder daran zu hindern, zu enge Regulierungen zu Lasten der Spielräume der einzelnen Hochschulen festzuschreiben. Umgekehrt ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, zu dem die Länder die Grenzen sinnvoller Föderalität ziehen können: Sie können zum Beispiel Stadtstaaten in regionale Hochschulverbände einbeziehen oder sich landesübergreifende Gesetze und Einrichtungen schaffen.

Zweitens: Jeder kann am Kompromißpapier ablesen, was wirklich wichtig ist und jetzt auf der politischen Tagesordnung stehen muß: Bafög, die Personalstruktur, die Hochschulfinanzierung. Diese drei Bereiche werden von den beabsichtigten Regelungen nicht tangiert – damit ist der Reformaspekt zum Scheitern verurteilt, während manche Flurbereinigung sicherlich möglich wird. Fachhochschulen, Forschung, das elende Zeitvertragswesen, Weiterbildung, Europa ... alles wichtige Bereiche, die jedenfalls in den bisher bekannten Konsensformeln nicht enthalten sind. Flickwerk.

Drittens: Manche Details des Konsenspapiers bergen politischen Sprengstoff. Beispielsweise legt die Gewährung eines Auswahlrechts für die Hochschulen nahe, einklagbare Leistungen der Hochschule und einen besseren Qualifikationsnachweis der Lehrenden auf der Angebotsseite zu fordern. Jede Angebotspolitik vertieft den Graben zwischen den Hochschulen. Nachfrageorientierung hieße, wirklich differenzierte Hochschularten vorzuhalten.

Wir können und wollen nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir halten die Hochschulen nach wie vor für die zentralen Orte, an denen Gesellschaften sich selbst denken und kritisch reflektieren, an denen Probleme identifiziert und die Problemlösungen erprobt werden, an denen Wissenschaft in den Dienst der Gesellschaft – natürlich auch der Wirtschaft, natürlich auch des öffentlichen Arbeitgebers – gestellt wird.

Eine solche Zielsetzung kann nicht mit ein paar managerialistischen Reformen und Experimentierklauseln an Verbindlichkeit gewinnen. Nehmen wir realistisch an, daß die jetzigen Vorschläge eine öffentliche Diskussion – in den Hochschulen, aber auch in der Politk, der Wirtschaft, bei den Eltern und in den Schulen – provoziert, dann ist wenigstens nichts verloren, aber noch kaum etwas gewonnen, außer vielleicht die nüchterne Einsicht, daß ein ganzes System neu gestaltet werden muß, weil es nicht mehr zu reparieren ist.

Kein Studienreformaspekt – Studienzeiten, Modularisierung, Zertifikate ohne Abschluß, Übergänge zwischen grundständigen Studien, Weiterbildung und Kontaktstudien, wirkungsvolle Evaluierung – kann Erfolg haben, wenn die soziale Frage der Hochschulen nicht gelöst ist, daß nämlich die überwiegende Mehrzahl der Studierenden nicht arbeiten muß, um studieren zu können.

Kein Leistungsanreiz wird wirksam werden, wenn die Rechte und Pflichten einseitig nur für die Studentinnen und Studenten sowie für den Dienstleistungsbereich innerhalb der Hochschule präzisiert werden, während die Vertragspartner – der Lehrkörper – von solchen Präzisierungen verschont bleiben. Die derzeitige Personalstruktur ist obsolet, leistungs- und verantwortungsfeindlich, international unattraktiv: Unser Nachwuchs, vor allem die Frauen, bekommen das auch in der Forschung zu spüren; hier gibt es einen wirksamen Markt rund um Deutschland mit zunehmenden Standortnachteilen für unsere jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Da geht es nicht einfach um die Abschaffung des Beamtenrechts und des BAT an der Hochschule: Wir brauchen ein eigenes Dienstrecht, das die Besonderheiten der wissenschaftlichen Tätigkeit berücksichtigt.

Die Parteien werden ihre Vorstellungen einbringen, wenn der nun vorliegende Kompromiß seinen Weg durch Bundesrat und Bundestag geht. Da ist vielleicht einiges an sinnvollen Korrekturen zu erwarten. Aber wichtiger erscheint uns, daß die Vision einer vernünftigen, offenen Hochschule wieder jenen gesellschaftlichen Stellenwert erhält, den sie für einen kurzen Augenblick der westdeutschen Geschichte vor der Verabschiedung des ersten HRG im Jahre 1975 hatte: Man kann wissenschaftliche Qualität, Methodenkritik, Nachhaltigkeit, ethische Verantwortung, praktische Prioritätensetzung, Unabhängigkeit von unangemessenen Einzelinteressen nicht verordnen. Das heißt aber nicht, daß das Gesetz nicht den Rahmen dafür ausfüllen kann. Das Gesetz muß nicht regulieren, um zu motivieren, längst angestrebte Reformen auch einmal aus den Hochschulen heraus anzugehen, ohne Gefahr zu laufen, daß sie letztlich doch zwischen staatlicher Verwaltungsstarre und ungehemmtem Marktanspruch zerrieben werden.

Vor mir liegen die Reformpapiere der letzten Jahre und die entsprechenden internationalen Vergleichsangebote für eine Neugestaltung in dieser Richtung. Sie drängen geradezu nach einer Zusammenfassung in einem konsistenten neuen Gesetz, das vielleicht nicht alle Wünsche erfüllt, aber die Bedürfnisse der Gesellschaft nach guten Hochschulen weitgehend befriedigt. Das kann schnell geschehen; erst die Umsetzung wird einen längeren Prozeß erforderlich machen, der ja an einigen Hochschulen schon im Gang ist, aber sozusagen seine gesellschaftspolitische Legitimation erst erhalten muß.

Die Politiker haben gesagt, was sie für möglich halten. Die Experten haben formuliert, was geschehen muß, damit die Reform eine Chance erhält. Jetzt sind die Betroffenen an und vor den Hochschulen am Zug, sich zu engagieren, damit wir erhalten, was die nächsten Generationen am Standort brauchen. Michael Daxner

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