■ Feldversuch: Akzeptieren wir werbefinanzierte Telefonate?
: Unterstützte Anrufe

„Telefonieren ist gesund!“ – verspricht ein großes Schild in der Wahrheit-Redaktion, und auch anderswo scheint der Griff zum Hörer eine äußerst wirksame und beliebte Prävention zu sein. Frauen telefonieren angeblich öfter als Männer – und vor allem ausgiebiger.

Doch leider weigern sich die Ortskrankenkassen immer noch, die monatliche Telefonrechnung zu übernehmen, und auch Verhandlungsangebote zu einer angemessenen Selbstbeteiligung verliefen bislang ergebnislos. So gehört das Eintreffen der Telekom-Rechnung zu den bangen Momenten des Monats. Nur widerwillig wird der Umschlag aus dem Kasten gefingert, dann liegt er ein paar Tage ungeöffnet in der Küche – bis sein auf einen inneren Ruck hin entblößter Inhalt offenbart, daß der monatliche Etat wieder mal um das Dreifache überschritten wurde.

Das muß nun endlich anders werden.

Im nächsten Jahr fällt das T- Monopol, und schon heute kämpfen diverse Telefongesellschaften erbarmungslos um neue Kunden. Da werden Spezialtarife angekündigt und Sonderangebote gebastelt. Wer es ganz umsonst haben will, geht zu 0. Tel.o, der Tochtergesellschaft von RWE und Veba. Angeregt durch den Erfolg ihres Online-Dienstes „germany. Net“, bei dem Kunden umsonst im Internet surfen können, wenn sie ein paar Werbeeinblendungen hinnehmen, soll nun die Akzeptanz werbefinanzierten Telefonierens getestet werden. Zehn Wochen, von Oktober bis Anfang Dezember, dauert das Pilotprojekt „Spotline“, für das 0. Tel.o jetzt 5.000 Berliner Testhaushalte sucht (Tel: 0180-22080).

Die Teilnehmer des Versuchs können praktisch umsonst telefonieren, denn Werbetreibende blenden Spots in die Gespräche ein und tragen damit die Kosten des jeweiligen Telefonats. Und das geht so: Nach Anwahl einer (kostenlosen) 0130-Nummer ermittelt ein Computer, zu welcher Testgruppe man gehört und schaltet dann ein Freizeichen.

Nun kann die gewünschte Nummer gewählt werden. Doch bevor sich jemand am anderen Ende der Leitung meldet, wird erst einmal Werbung eingeblendet (Krombacher – eine Perle der Natur – präsentiert Ihnen dieses Telefongespräch“ oder „Focus unterstützt Ihren Anruf“).

Die Zusammenstellung der Werbespots ist ganz auf die persönlichen Bedürfnisse („der unübertroffene Antischuppenkomplex“) und Vorlieben („das neue Kitekat-Knusperkostmenü“) der Teilnehmer abgestimmt. Zu diesem Zweck muß ein Extrafragebogen ausgefüllt werden – und schon geht es mit den neuen Turbotabs zu einem noch nie dagewesenen Telefonerlebnis („Schalt' den Turbo ein“). Wer länger telefoniert, bekommt weitere Spots eingespielt – und die darf sich dann auch das andere Ende der Leitung anhören.

Bei „Always Ultra“ könnte das leichte Verlegenheit hervorrufen, die aber durch „die längste Praline der Welt“ sofort wieder wettgemacht wird. Und wenn es ihr endlich gelungen ist, den Traumprinzen mit dezenter Unterstützung von Dreiwettertaft zum lang ersehnten Rendezvous zu bewegen, ertönt der Zwischenruf: „Hilfe, ich habe ein Kalkproblem!“ Die Diskussion um das Transportmittel wird jäh unterbrochen („Signora, isch 'abe gar keine Auto“), gefolgt von einer Empfehlung für eine Tiefkühlpizza, deren Name niemand versteht, weil ein eher mittelmäßiger, dafür um so lauter Tenor alles übertönt.

Sie mißversteht den Hinweis auf „die frische Kraft, die's Fett wegschafft“ als Aufforderung, endlich ein paar Pfunde abzunehmen, und mitten im Spot einer Berliner Schnapsbrennerei („Früher oder später trinkt jeder Wurzelpeter“) knallt sie entrüstet den Hörer auf die Gabel. Er versteht die Welt nicht mehr und greift frustiert zur Flasche.

Das anschließende Pochen im Schädel wird durch den dezenten Hinweis auf die Packungsbeilage und den Arzt oder Apotheker auch nicht besser. Aber eins ist ganz sicher: Telefonieren ist gesund! Dieter Grönling