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Der Jahrtausendfehler

■ Firmen suchen Programmierer, die alte Computersprachen beherrschen

Radargeräte fallen aus, Flugzeuge stürzen ab, Ampelanlagen funktionieren nicht und richten ein Verkehrschaos an, in den Krankenhäusern schalten die Maschinen ab, und Patienten sterben wie die Fliegen, Atomkraftwerke geraten außer Kontrolle, Satelliten gehen verloren, Bankkonten werden gelöscht, und Firmen gehen reihenweise pleite. Der Stoff für eine Science-fiction-Serie? Am 31. Dezember 1999 um Mitternacht könnte es Realität werden.

Der Jahrtausendfehler bedroht die Computersysteme der Welt: Viele Computerprogramme haben beim Datum nur zwei Ziffern für das Jahr vorgesehen. Wenn die Jahreszahl von (19)99 auf (20)00 springt, glauben die Maschinen entweder, soeben sei das Jahr 1900 angebrochen, oder sie erkennen die Zahl überhaupt nicht. In beiden Fällen wären die Folgen verheerend.

Einen Vorgeschmack hat die britische Supermarktkette Marks and Spencer bereits bekommen. Ihr Computer sorgte dafür, daß mehrere Tonnen Corned-Beef- Dosen vernichtet wurden. Die Maschine ging davon aus, daß die Ware ihr Haltbarkeitsdatum um fast ein Jahrhundert überschritten habe. In den USA erhielt eine 104jährige die Aufforderung, sich im Kindergarten anzumelden, und ein Gefängniscomputer ließ zahlreiche Gefangene frei, weil er meinte, sie hätten ihre Strafen schon 1910 abgebüßt. Das sind freilich Lappalien im Vergleich zu dem, was uns blühen könnte.

Wie konnte das passieren? Hatte niemand einen Kalender zur Hand, als die Computersysteme eingerichtet wurden? In den achtziger Jahren war die Kapazität von Computern noch arg begrenzt, und um Platz zu sparen, dampften die Programmierer die Jahreszahl auf die letzten beiden Stellen ein. Doch entgegen den Annahmen der Programmierer laufen viele der Programme heute immer noch.

Nun feiern die Softwareveteranen, von denen viele längst pensioniert sind, ein lukratives Comeback: Unternehmen bieten ihnen stattliche Gehälter an, damit sie ihre Nachlässigkeit von damals ausbügeln, weil sie die einzigen sind, die schon fast vergessene Programmiersprachen wie Cobol und Assembler noch verstehen. Die deutsche Initiative 2000 hat sogar eine Jobbörse eingerichtet. Ein Unternehmen engagierte jüngst gleich hundert Altprogrammierer von der Liste. Es wird immer schwerer, noch Spezialisten zu finden. In Deutschland werden schon Tagessätze von 1.000 Mark pro Tag gezahlt, in Großbritannien sind gar 3.000 Mark fällig. „Jedes Jahr können sie mehr verlangen, und tun es auch“, sagt Frank Sempert, Sprecher von Initiative 2000.

Auch Personalcomputer, die vor 1996 ausgeliefert worden sind, können im Jahr 2000 verrückt spielen, wenn man sich nicht rechtzeitig darum kümmert. Manche Experten raten, das Datum schon mal auf fünf vor zwölf am 31.12.00 einzustellen und abzuwarten, was passiert. Andere meinen, daß man die Zeit um ein paar Jahre zurückstellen soll, um das Problem zu umgehen. Bei Großrechnern und Computersystemen geht das natürlich nicht. Da muß man schon jeden Chip und jedes Programm auf ein verstecktes Datum untersuchen. Ralf Sotscheck

Initiative 2000 im Internet:

http://initiative2000.de

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