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Arkadien liegt bei Potsdam

Fluchtpunkt Glienicker Brücke: Eine Ausstellung über einen Berliner Mythos macht vor allem Werbung für luxuriöses Wohnen am Rande der Stadt  ■ Von Harry Nutt

In Helmut Käutners Film „Unter den Brücken“, gedreht in den letzten Tagen des Krieges und erst nach dessen Ende uraufgeführt, nehmen zwei junge Binnenschiffer ein von Herzschmerz geplagtes junges Mädchen an Bord ihres Schleppers und verlieben sich in es. Drehort dieser vom Weltgeschehen abgewandten Dreiecksgeschichte war ausgerechnet die Glienicker Brücke, die schon immer ein historisch aufgeladener Ort war, dessen Bedeutung weit über seine Verkehrsfunktion hinausging.

Ab 1754 ging regelmäßig Postverkehr über die Brücke. Knapp hundert Jahre später hielt das Holzgestell dem hohen Verkehrsaufkommen nicht mehr stand und wurde durch Friedrich Karl Schinkels Backsteinbrücke ersetzt, die 1907 ihrerseits der heute noch vorhandenen luftigen Eisen-Stahl- Konstruktion wich. Aber weniger die Architektur der Brücke als ihre eigenartige Grenzfunktion – teils trennend, teils verbindend – machte seit je ihren Charakter aus. Als Übertritt über die südliche Havel war sie zugleich auch ein Symbol dafür, daß die Residenzstädte Potsdam und Berlin nicht zusammenwachsen konnten und sollten.

In unmittelbarer Nähe zur Brücke, in der 1924 erbauten Villa Kampffmeyer am Glienicker Horn, widmet sich zur Zeit eine Ausstellung der wechselvollen Brückengeschichte. Bekannter als durch Film und Architektur wurde die Glienicker Brücke als Schauplatz geheimnisumwitterter Agentenaustauschmanöver. Aber während das abenteuerliche Herz allüberall Spione witterte, hat es tatsächlich nur drei historisch verbürgte Wechselspielchen mit Geheimnisträgern gegeben. Der erste fand 1962 statt. Der über der Sowjetunion abgeschossene US-Pilot Gary Powers wurde hier gegen den KGB-Obersten Rudolf Abel umgerubelt. Eine wahre Agenten- Hausse erlebte die Brücke dann erst wieder 1985, als 23 im Osten inhaftierte US-Spione gegen 4 Ost- Kundschafter ausgetauscht wurden. Der dritte und vorerst letzte Agentenhandel fand schließlich am 11. Februar 1986 statt, als unter anderen der in der Sowjetunion inhaftierte Anatoli Schtscharanski freigelassen wurde.

Die Geschichte und die Erzählungen über die Brücke zu einer Ausstellung mit historischem Video und ein wenig Mauerschauer zu verbinden ist ein durchaus verdienstvolles Unterfangen, das auf den Berliner Journalisten Thomas Blees zurückgeht, der zum Thema auch noch einen stattlichen Bildband mitbringt. Vor Ort am Glienicker Horn befördert die Ausstellung aber auch noch ein anderes Anliegen. Mit der Mythos- und Geschichtsschwere machen die Hausherren nämlich gleichzeitig auf ihr luxuriöses Areal aufmerksam, in das sich der geschichtsbewußte Berliner – wahrscheinlicher noch: Neuberliner – gegen Vermögensarten mittlerer Größe einkaufen kann.

Arkadien nennt sich jenes hübsch in die Landschaft eingepaßte Villenensemble, in dem sich künftig einige ausgewiesene Mitglieder zahlungskräftiger Funktionseliten häuslich niederlassen werden. Der freie Blick auf die Havel und die Nähe des historischen Ortes setzen künftig vermutlich Kreativität und Entscheidungsfreude bei ausgesuchten Besserverdienenden des Großraums Berlin frei. Unsereinem aus Kreuzberg oder Friedenau wird am Rande der Ausstellung immerhin die Vorstellung eines ganz anderen Wohnens mitgegeben, solange die neuen Bewohner noch nicht gefunden sind. Ärger, den es zwischenzeitlich mit der Unesco gab, die die königlich- preußischen Sichtachsen gestört sah, sei nun ausgeräumt, heißt es seitens der Agentur Groth und Graalfs, die auch die Ausstellung betreut.

Wäre ja auch zu dumm, wenn das bessere Wohnen am Ufer der Havel unter dem schönen Namen Arkadien ausgerechnet die Lennésche Ordnung beeinträchtigen würde.

Potsdam, Berliner Straße 76, Freitag bis Sonntag 12–18 Uhr

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