■ Kommentar: Ballon geplatzt
Bettelnde Kinder verhaften, Windschutzscheibenwäscher bekämpfen, Schwarzfahrer festnehmen, Obdachlose bis hinter die Stadtgrenzen abschieben – ein Blick auf Berliner Straßen, und schon wußte der ehemalige New Yorker Polizeichef Bratton in Bild zu erklären, wie man hier Ordnung schafft. Von derselben Qualität waren seine Bemerkungen auf der gestrigen Diskussionsveranstaltung der Polizeigewerkschaft. Da fiel es selbst dem Polizeipräsidenten Saberschinsky nicht schwer, sich als Liberaler zu präsentieren, der mit Augenmaß eine bürgernahe Polizeipräsenz anstrebt. Man kann William Bratton deshalb nur dankbar sein für seinen Trip nach Berlin. Der Mythos Bratton konnte vor allem im Getöse der Medien und Law-and-order- Strategen sprießen, die den New Yorker Saubermann aus der Ferne überlebensgroß erscheinen lassen. Seine Vorschläge und Ansichten aber, die er jetzt in Berlin äußerte, lassen seine Aura an der Wirklichkeit verblassen. Kriminelle werden mit Ratten verglichen, und Brattons demokratisches Selbstverständnis wird überdeutlich, wenn er verächtlich kundtut, daß nur „Menschenrechtsgruppen und Minderheitenvertreter“ über seine rüden Methoden klagen würden. Ballon geplatzt, Herr Bratton. Berlin sicherer zu machen ist wohl doch etwas komplizierter.
Doch das Thema ist damit längst nicht abgehakt. Mister Bratton hat seinen Part in der Kampagne der Angstmache, in deren Schatten Allmachtsansprüche der Polizei und die Aushöhlung demokratischer Bürgerrechte lauern. Da mag sich der Expolizeichef bei seinem Berlin-Besuch noch so entzaubern, da mögen die Deliktzahlen im sicheren New York bei Mord und Totschlag immer noch deutlich höher liegen als in Berlin – die Ikone des Sicherheitswahns wird weiterhin hochgehalten werden. Die liberale Öffentlichkeit sollte deshalb eine Empfehlung Brattons ernst nehmen: wachsam bleiben. Gerd Nowakowski
Tagesthema Seite 3
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