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Der US-Cop – dein Freund und Verfolger

■ New Yorks Polizeikonzept: „Null-Toleranz“ und „marktorientiertes Denken“

Ein bißchen haftet ihm das Flair des einsamen Helden an. Da zog er nun nach New York, das für so manchen seiner Landsleute zum Synonym für Sodom und Gomorrha geworden ist, räumte auf – und wurde zum Dank vor die Tür gesetzt. Doch der Fußtritt, den er selbst als Rücktritt kaschierte, hat seiner Popularität keinen Abbruch getan. William Bratton, 49 Jahre alt, ist heute eine der begehrtesten Figuren, wann und wo immer das Thema der Verbrechensbekämpfung debattiert wird.

Seine Karriere begann Amerikas derzeit beliebtester Cop a.D. nach einem Grundstudium am College von Boston 1970 als einfacher Polizist. Kaum fünf Jahre später haftete man ihm den ersten Orden ans Revers: Bei einem Banküberfall hatte er eine Geisel befreit. Nach New York kam er erstmals 1990, wo er unter dem damaligen demokratischen Bürgermeister David Dinkins zum Chef der „New York City Transit Police“ wurde. 1993 wurde er als „Police Commissioner“, was der hiesigen Position des Polizeipräsidenten entspricht, zurück nach Boston geholt. Keine zwölf Monate später, im Januar 1994, ernannte ihn Dinkins' Nachfolger, der Republikaner Rudolph Giuliani, zum Polizeichef von New York. Giuliani hatte gegen Dinkins einen rabiaten Law- and-order-Wahlkampf geführt und wollte nach seinem knappen Sieg nun einen Mann an der Spitze der 45.000 New Yorker Polizisten präsentieren, der seine Wahlversprechen einlösen würde.

Im März 1996 reichte Bratton seinen Rücktritt ein – nicht obwohl, sondern weil ihn die New Yorker als den Helden feierten, der in ihren Augen die Verbrechensrate in der größten US-Stadt auf ein erträgliches Maß gedrückt hatte: „nur“ noch 978 Morde 1996 sowie 17 Prozent weniger Raubüberfälle und Autodiebstähle als im Vorjahr. Dafür war die Popularitätsrate des Polizeichefs über die des Bürgermeisters hinausgeschossen. In den Augen eines amerikanischen Stadtvaters ist das schlimm genug. Schlimmer noch war für Rudolph Giuliani, daß sein „Supercop“ mit dem kantigen Gesicht das Rampenlicht der Medien immer wieder suchte und fand – und sich gleichzeitig weigerte, dem Bürgermeister für den nächsten Wahlkampf seine bedingungslose politische Loyalität zu versichern.

Als Chef einer Sicherheitsfirma preist er nun – gut dotiert – sein Polizeimodell an: Nicht Reaktion auf Straftaten hat Priorität, sondern Prävention durch eine Strategie der „Null-Toleranz“. Gemeint ist: Greift die Polizei bereits bei kleinsten Ordnungswidrigkeiten wie öffentlichem Urinieren oder Schwarzfahren ein, so geraten bei diesem Schleppnetzfang der kleinen Fische automatisch auch größere ins Netz.

Dabei geht es Bratton vor allem um die Befriedigung eines sehr weit definierten Sicherheitsgefühls der Bürger. Soll heißen: Wenn die Einwohner des einen Viertels über Drogendealer an der Straßenkreuzung klagen, so geht die Polizei gegen die Dealer vor. Klagen die Einwohner in einem anderen Viertel über rasende Fahrradboten auf dem Bürgersteig, dann geht die Polizei gegen die Boten vor. „Marktorientiertes Denken“, nennt dies Bratton. „Wir begannen, die New Yorker Polizei wie ein privates, profitorientiertes Unternehmen zu führen. Der Profit, den ich wollte, war die Reduzierung der Kriminalität. Meine Konkurrenten waren die Verbrecher, meine Kunden die Bürger.“

Unter Experten ist jedoch höchst umstritten, ob die sinkende Kriminalitätsrate auf die Polizei zurückzuführen ist oder ob Bratton „einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war“, wie der US-Kriminologe Richard Moran glaubt. Moran meint damit den landesweiten Trend in den USA, der mit Beginn der 90er Jahre vor allem die Rate der Gewaltverbrechen in amerikanischen Großstädten rapide sinken ließ.

Wie verschieden die Ursachen für sinkende Verbrechensraten sein können, weiß auch Bratton. In Boston, wo man Schußwaffengewalt unter Jugendlichen und Kindern erfolgreich eingedämmt hat, ist seit Anfang der neunziger Jahre eine wachsende Bewegung schwarzer Prediger und Gemeindehelfer aktiv, die mit unerschöpflichem Vertrauen auf Gott und ebenso großer Verachtung für den Staat afroamerikanische Jugendliche quasi adoptieren und von Gangs und Drogen fernhalten. „Ohne diese Prediger hätte man hier nicht effektiv arbeiten können“, sagt Bratton über seine kurze Zeit als Bostoner Polizeichef.

In New York wiederum dürfte ein Teil des Kriminalitätsrückgangs allein darauf zurückzuführen sein, daß die uniformierten Polizisten der Stadt nach einer internen Anti-Korruptions-Kampagne unter Bratton wieder in die Bekämpfung der Drogenkriminalität einbezogen wurden. Von der waren sie seit Mitte der achtziger Jahre aufgrund der legendären Bestechlichkeit ganzer Reviere kollektiv entbunden worden.

Dieser Tage ist William Bratton möglicherweise ganz froh, daß er New York aus dem Chefsessel einer Privatfirma beobachten kann. Denn seit kurzem machen nicht mehr die Erfolgsbilanzen der Abschnittsleiter Schlagzeilen, sondern die Folterung eines haitischen Immigranten durch drei weiße New Yorker Polizisten. Vor wenigen Tagen demonstrierten mehrere tausend Haitier in New York gegen Polizeiübergriffe. Nach Brattons Diktion sind auch das Kunden, die ein Sicherheitsbedürfnis formulieren. Andrea Böhm

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