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Der ambulante Handwerker

Auf seiner Sommerreise durch Niedersachsen präsentiert sich Gerhard Schröder als Landesvater, dem nicht der Sinn nach einem großen politischen Wurf steht. Er sieht nach dem Rechten und hilft, wo er kann  ■ Von Markus Franz

Auf zwei Sätze verzichtet Gerhard Schröder bei seiner Sommerreise 1997 durch Niedersachsen bei kaum einer Station. „Sie müssen wissen“, lautet der erste Gliederungspunkt. Damit leitet der niedersächsische Ministerpräsident ein, daß die Politik, insbesondere er, nicht alle Probleme lösen kann. Zum Abschluß stellt er fest: „Ich habe verstanden.“ Meist setzt er hinzu: „Wir werden uns darum kümmern.“

Während andere Politiker als Pastoren, Propheten, Weise durchs Land ziehen, tritt Gerhard Schröder als ambulanter Handwerker auf. Er sieht überall mal nach dem Rechten, fragt nach, bis er die Probleme vollauf verstanden hat, faßt sie zusammen, läßt den Auftrag von seinen Mitarbeitern aufschreiben, verbreitet Zuversicht und eilt schon zum nächsten Kunden. So gut wie nie geht der politische Schwatz über die Haustür hinaus. Schröder ist schließlich nicht Bundeskanzler – die großen Heilslehren überläßt er anderen.

Dabei schwankt der Dienstmann Schröder in seinem Verhalten von ausgesuchter Höflichkeit bis zu spitzbübischer Frechheit. Bei der Elektro-Anlagen-Bau- GmbH Meynert in Wallenhorst begrüßt Schröder als einziger von vier Rednern die Frau des Geschäftsführers, die „liebe Frau Meynert“. Im Rathaus derselben Gemeinde mosert er, wenngleich mit breitem Grinsen: „Die besondere Notlage dieser Gemeinde sehe ich ja an dieser Baracke.“ Gemeint ist der beeindruckend moderne Rathausneubau. Dem CDU-Bürgermeister hält er vor, „zu den politisch Irrenden zu gehören“. Doch wer würde das diesem Handwerksmeister nicht als burschikose Art und hemdsärmelige Natürlichkeit durchgehen lassen? Ist ja schließlich nicht Bundeskanzler, der Mann.

Dem Anlagenbauer Meynert, der über die mangelnde Bildung der Schulabgänger klagt, muß wissen, daß dies auch mit der Reizüberflutung der Kinder zu tun habe. Er wolle aber gerne die Zusammensetzung der Bildungspläne überprüfen. Die Gemeinde von Wallenhorst muß wissen, daß der Staat jährlich 150 Milliarden Mark in den Osten transferiert, der Spielraum für eine finanzielle Entlastung der Gemeinde daher nicht besonders groß sei. Wissen müsse man auch, daß die Regierung keinen Einfluß auf den Abbau der Poststellen habe. Dennoch sollen die Wallenhorster nicht ohne Hoffnung bleiben. Schröder hat verstanden, daß die Anträge beim Denkmalschutz zu langsam bearbeitet werden. Das wußte er vorher nicht. „Wir werden uns darum kümmern.“

Kümmern will er sich nach Beendigung seiner Sommerreise auch darum, daß die Lohnkostenabrechnungen einfacher werden. Vornübergebeugt, mit glänzenden Augen, läßt sich Schröder beim Bremervörder Sitz- und Liegemöbelhersteller „Thomas“ (Lattoflex) erzählen, daß die Herstellungskosten in der Schweiz um 18 Prozent niedriger seien als in Deutschland. Während in der Schweizer Filiale die Lohnbuchhaltung von einem Sachbearbeiter nebenbei erledigt werde, seien im Haupthaus zwei Mitarbeiter vollständig für diese Aufgabe abgestellt. „Wir werden uns die Landesgesetze mal vornehmen“, verspricht Schröder. „Mal sehen, was wir rausschmeißen können.“ Aus den Landesgesetzen wohlgemerkt. Ist er etwa Bundeskanzler?

Forderungen auf bundesweiter Ebene sind Schröder zu abstrakt. Da kann er nur zusehen, ob sie in langwierigen Prozessen verwirklicht werden. Aber wäre damit etwa ein konkretes Problem aus der Welt? Handwerker Schröder sorgt lieber dafür, daß ein Unternehmer keine Lichtschranke in seinem Aufzug einbauen muß, wie das ein eilfertiger niedersächsischer Beamter in vorauseilendem Gehorsam einer EU-Richtlinie gefordert hatte. Da weiß man, was man hat. Das Politik-Prinzip Schröders ließe sich wohl am besten verwirklichen, wenn man ihn zehntausendfach klonen und diese Armee als Problemlöser durch die Republik schicken würde. Schröder lacht bei dieser Vorstellung und nickt mit dem Kopf.

An die großen theoretischen politischen Alternativen glaubt er ohnehin nicht mehr. „Der große Wurf ist gestorben.“ Das Konzept von SPD-Parteichef Oskar Lafontaine, den Kurs der SPD deutlich von dem der Koalition zu unterscheiden, ist Schröders Sache nicht. Höhnisch fragt er, wer denn wohl die Programme der Parteien wirklich lese und miteinander vergleiche. Seine Analyse lautet: Der Standort Deutschland ist wesentlich besser als sein Ruf. Eigentlich muß gar nicht so viel geändert werden. Aufgrund des Milliardentransfers in die neuen Bundesländer ist der Handlungsspielraum ja ohnehin beschränkt. Entscheidend ist die Frage: „Wer managt das besser, wer kriegt früher raus, was notwendig ist?“ Und dann natürlich: Wie schaffe ich wieder eine positive Stimmung im Land?

Schröder setzt dabei vor allem auf Schröder. Sein Vorbild ist Tony Blair. Der habe den Regierungswechsel ohne eine nennenswert andere Politik hinbekommen. Er habe dem Land einfach nur wieder Selbstbewußtsein gegeben. Und wer könnte das in Deutschland besser, als der strahlende, selbstbewußte Gerhard Schröder?

Schröder glaubt nicht nur, daß der Minimalismus reicht, er hält ihn sogar für notwendig. „Die Leute haben inzwischen mehr zu verlieren als ihre Ketten, die haben richtig was zu verteidigen“, sagt er etwa. Unter diesem Blickwinkel sind auch Schröders Äußerungen zur inneren Sicherheit zu sehen. Schröder will den konservativen Wählern das Gefühl geben: Ihr könnt mich wählen, ihr geht damit kein Risiko ein. „Sicherheit im Prozeß der Veränderung geben“, nennt Schröder das. „In Deutschland gibt es keine andere Gewinnerstrategie.“ Und so reist er übers Land und schafft Vertrauen.

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