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Ganz kleine Schritte in Richtung Demokratie

■ Banja Luka, die größte Stadt der bosnisch-serbischen Republik, hat einen neuen Geheimdienstchef. Das Fernsehen bemüht sich um ausgewogene Berichterstattung

Im Hauptquartier der Staatssicherheitskräfte für Banja Luka steht die Tür nicht still. Beamte der UNO-Polizei gehen mit dicken Dossiers unter dem Arm aus und ein. Polizei und Geheimdienst würden „reorganisiert“, heißt es in der Lokalzeitung Glas srpski. Erst vor wenigen Tagen hatte die Bosnien-Friedenstruppe SFOR mit einer Großrazzia gegen die Stasi- Zentrale und die Polizeistationen der Stadt in den Machtkampf der bosnischen Serben eingegriffen.

Bei der Aktion wurde tonnenweise Kriegsgerät sichergestellt. Man stieß auf Anhaltspunkte, daß die der Regierung in Pale ergebenen Polizei- und Stasi-Führer einen Mordanschlag auf die Präsidentin der bosnischen Serbenrepublik, Biljana Plavšić, planten. Seitdem sind sie flüchtig. Mit Hilfe der UNO soll nun eine bosnisch-serbische Polizei entstehen, die rechtsstaatlichen Normen genügt.

Und so ist es dann auch ohne große Probleme möglich, einen Gesprächstermin beim neuen Stasi-Chef zu bekommen. Der 33jährige Predrag Ceranić, ganze sieben Tage im Amt, kommt ohne Umschweife zur Sache: „Unter meinem Vorgänger hat die Staatssicherheit die Telefonate der legitimen Präsidentin abgehört. Der Dienst wird sich wieder auf seine ursprüngliche Aufgabe besinnen und die Präsidentin schützen.“

Ceranić, betont lässig gekleidet in Jeans und mit offenem Hemdkragen, gleicht eher einem in die Jahre gekommenen Studenten als einem Gebieter über Agenten und Geheimdossiers. Tatsächlich hatte er an der Universität von Sarajevo ein Studium der Philosophie und Soziologie absolviert, ehe er von der Universität zum Geheimdienst wechselte.

Neu an Ceranić ist das Vokabular. Serbische Polizeichefs, wenn sie denn überhaupt bereit sind, mit einem Ausländer zu sprechen, versuchen in der Regel ihr Gegenüber von der „serbischen Wahrheit“ zu überzeugen. Hier jedoch kommt das Dayton-Abkommen nicht als Fluch über die Lippen, sondern gilt als grundlegendes Dokument, das nun umgesetzt werden muß. Nicht von „Serbiens historischer Mission“ ist die Rede, sondern von der erwünschten Integration in die Weltgemeinschaft, von dem Platz, den die serbische Nation dort „elastisch“ finden müsse. – Der Machtkampf zwischen Präsidentin Plavšić in Banja Luka und der in Kriegsverbrechen, Korruption und Kriminalität verstrickten Riege in Pale scheint demokratische Tendenzen in der mit 200.000 Einwohnern größten serbischen Stadt Bosniens zu begünstigen.

Das lokale Fernsehstudio, das sich inzwischen völlig von TV- Pale, dem Propaganda-Sprachrohr Radovan Karadžić', abgekoppelt hat, ist nicht einfach loyal zu Plavšić, sondern versucht, in ausgewogenen Nachrichtensendungen alle Standpunkte zu Wort kommen zu lassen.

Seit die SFOR das Relais auf dem nahen Kozara-Berg kontrolliert, kann man in Banja Luka kein Pale-Fernsehen mehr empfangen. Es geht niemandem ab. Die Menschen auf der Straße sind enttäuscht von den leeren Versprechungen der Kriegstreiber. Statt des Lebens in einem ruhmbedeckten Groß-Serbien, haben sie nun eines in Armut. Biljana Plavšić ist ihre letzte Hoffnung. „Sie arbeitet für diese Region, sie tut etwas dafür, daß wir hier wohlhabender werden“, glaubt die 56jährige Borka, die auf dem zentralen Marktplatz Kinderschuhe verkauft.

In weniger gutem Licht sieht dagegen Milorad Zivanović, Philosophie-Professor und Vorsitzender der oppositionellen Sozial-Liberalen Partei (SLS), die Präsidentin. „Positiv ist, daß der Kampf gegen Verbrechen und Korruption den Spielraum für demokratische Politik erweitert“, erklärte er. „Gleichzeitig ist aber Frau Plavšić immer noch Vertreterin der extremen, chauvinistischen Ideologie der Karadžić-Partei SDS. Der Konflikt findet innerhalb dieser Ideologie statt.“

Das Los der wenigen in Banja Luka verbliebenen Muslime und Kroaten – 5.000 bis 8.000 an der Zahl – wird zeigen, wie demokratisch die im Entstehen begriffenen Verhältnisse wirklich sind. „Wir Nicht-Serben“, sagt Pater Karlo Visaticki, rechte Hand des kroatischen Bischofs von Banja Luka, „sind nach wie vor rechtlos“. Er erzählt von einem alten kroatischen Ehepaar, das im Kuhstall hausen muß, weil das eigene Haus von serbischen Flüchtlingen gewaltsam besetzt wurde.

Auch Predrag Ceranić, der neue Stasi-Chef, wird Farbe bekennen müssen. Die Vertreibung von 23.000 Muslimen und 21.000 Kroaten in den Kriegsjahren 1992 bis 1995, die Sprengung aller 16 Moscheen, die Demütigung der muslimischen Intellektuellen, die zu Kriegsbeginn die Straße waschen mußten: All dies war von den Sicherheitskräften geplant und organisiert worden. Er selbst sei erst seit zwei Jahren in Banja Luka tätig, sagt Ceranić. Wird er die Courage und den Willen aufbringen, die Untaten seiner Untergebenen aufzudecken? Gregor Mayer, Banja Luka

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