: „Wir haben unsere Arbeitsplätze verloren ...
■ Die Vegesacker Traditionswerft hat für immer ihre Tore geschlossen / Wir interviewten aus diesem Anlaß Fritz Bettelhäuser, ehemals Betriebsratsvorsitzender, heute (Lebens-)Künstler
Fritz Bettelhäuser, Jahrgang 1942, Schlosser von Beruf, wurde 1973 Betriebsratsvorsitzender auf der Vulkan-Werft in Vegesack. Für ihn lagen damals schon Arbeiterinteressen und ökologische Probleme eng beieinander. Er redete laut über die „Arbeit mit Asbest“-
ein Thema, das unter Werftsarbeitern damals völlig tabuisiert war, die Krankheitsfolgen trug jeder für sich individuell .
Bettelhäuser und seine Echolot-Gruppe stellten die provozierende Frage, welche Alternativen es zu der Militärproduktion gab, wenn die Werften rentabel arbeiten wollten.
1985 wählten die Vulkan-Arbeiter wieder vorsichtshalber
mehrheitlich IG Metall und sozialdemokratisch. Bettelhäuser ging wieder in die Schlosserei, obwohl er persönlich die höchste Stimmenzahl bekommen hatte. Kalli Schönberger, zuletzt Konzernbetriebsrats- Vorsitzender und bis zur letzten Stunde Hennemann-Vertrauter, wurde damals der Betriebsrats-Vorsitzende der Vegesacker Werft.
Bettelhäuser ist seitdem aktiv im „Arbeitskreis nützliche Produkte“,
im Bürgerhaus Vegesack, in Bremen-Nord überhaupt.
Vor drei Jahren nutzte er das Angebot einer Vorruhestandsregelung –
und geht seitdem, neben den vielfältigen politischen Engagements, seinen künstlerischen Neigungen nach.
taz: Die Kunst-Objekte des Fritz Bettelhäuser haben alle Namen ...
Fritz Bettelhäuser: Viele gehen hin und sagen: Was interessiert mich der Betrachter, der soll sich selber etwas denken. Richtig, jeder soll denken, was er will. Für mich ist aber wichtig, daß das für mich einen Namen hat. Ich will mich da irgendwie mitteilen. Wenn ich mich mitteilen will, dann kann ich nicht sagen: NN.
Wir kommt man als Schlosser auf die Kunst ?
Ich habe immer schon so rumgefummelt, auch auf dem Vulkan. Wenn ich da Abfallteile gefunden habe, habe ich die so zusammengesetzt und zu Kollegen gesagt: Guck mal, ist das nicht schön, was wir sogar aus unserem Müll noch machen können?
Da gibt es ja einige, die mit Industrieabfall Kunst machen. Bei Klöckner gibt es auch einen, der erstarrten Stahl-Abguß verwendet.
Da gibt es wunderbare Gebilde, die muß man nur hinstellen und wirken lassen. Guck mal, dieser Mensch, der liest. (Zeigt auf eine abstrakte Plastik aus gebogenen Eisen-Streifen)
Wie heißt das?
Das heit: Zeit – Lesen – Wissen. Du brauchst ja erst einmal Zeit, zumindest als handwerklich arbeitender Mensch. Du mußt abspannen, ausgeruht sein, dann kannst du etwas lesen. Nur durch Lesen kommst du zum Wissen. Ich habe bei diesem Kopf einen Ring gehabt, den Ring habe ich verformt, gedreht, ohne daß ich vorher wußte, was ich daraus mache. Dann kam diese Struktur heraus, da kam ich darauf: Daraus könntest du einen machen, der eine gemütliche Haltung zum Lesen hat. Dann habe ich dieses Abfallblech darangeschweißt ...
Die künstlerischen Ideen kommen beim Betrachten des Mülls?
Zum Teil. Schau hier, bei dem Hahn wußte ich schon, daß ich aus einer alten Gabel einen Hahn machen wollte.
Eine bäuerliche Mistgabel?
Nein, das ist eine alte Koksgabel. Das erkennt man an den darangebliebenen Alu-Stücken, vorne waren auf den Gabeln so ne Art Fingerhüte, damit man nicht in den Koks hineinsticht. Das ist eine Koksgabel, die ich bei dem Becker auf seinem Schrottplatz gefunden habe. Der lacht immer schon, wenn ich da ankomme mit Olaf Dinne gehe ich ja oft dahin ...
(Anm.: Olaf Dinne, Architekt, in den 70ern oppositioneller Sozialdemokrat, gründete 1978 die Grünen in Bremen und zog 1979 mit seiner Gruppe als erster Grüner in einen bundesdeutschen Landtag ein. Lebt heute zurückgezogen aus der Politik als Schafzüchter und Lebenskünstler auf dem Krähenberg am Werdersee, d. Red.)
Wieso mit Olaf Dinne?
Es verbindet uns ja soviel, Olaf geht auch gern auf Schrottplätze und guckt, was er für seine Bautätigkeit so brauchen kann an alten Nägeln und so, da liegt ja viel herum.
Der baut Hochhäuser aus Schrottnägeln ...
Naja, man kann nicht sagen Hochhäuser, aber für seine ganzen Umbauten. Und dafür fährt er sehr oft zum Schrottplatz. Man kann sich nur wundern, unsere Wohlstandsgesellschaft schmeißt sehr viel weg. Und ich suche da Sachen zusammen für meine Kunstgegenstände.
Seit wann bist Du weg von der Werft und hast Zeit für die Kunst?
Seit Oktober 1994, der letzte Sozialplan. Da bin ich gegangen.
Damals waren die Costa-Aufträge noch nicht da, der Konzern schien liquide.
Doch, in den Büchern waren sie, aber noch nicht angefangen.
Oktober 1994, was hattet Ihr damals auf der Werft für ein Gefühl über die ökonomische Situation der Werft?
Ich will zunächst etwas anderes über Gefühle sagen. Ich habe 1964, 1965 angefangen auf der Werft, da habe ich zum ersten Mal eine Verabschiedung eines Kollegen da erlebt. Das war eine riesen Feier, der Kollege bekam einen riesen Frühstückskorb, ein Kouvert mit dem Rest Bargeld, das gesammelt worden war, alle waren sehr traurig, harte Werftarbeiter konntest Du eine Träne verdrücken sehen, da war ein Lebensabschnitt zuende mit 65. Der Kollege wurde auf eine E-Karre gesetzt, das war so eine Tradition, und zum Tor gefahren. Da wartete ein Taxi, alles sehr traurig. Nur diejenigen im Betrieb, die gefeiert haben, die waren lustig.
Mitte der 80er Jahre drehte sich da was um in der Belegschaft. Mit den ersten Leuten, die mit 57 gehen konnten und dann mit 55, da drehte sich das um. So gewaltig, daß ich immer wieder daran denken muß: Diejenigen, die gefeiert haben, die im Betrieb blieben, die waren traurig, und, zum Teil, drückten sich eine Träne weg. Und derjenige, der wegging, der war lustig, der war fröhlich. Der ging gerne weg. Obwohl er 25, 30 Jahre dagewesen war, wie eine Familie. Man ist ja mehr Stunden in der Kolonne zusammen als mit der Familie zu Hause. Ich habe das nie richtig erklären können, aber alle haben gemerkt: Da stimmt was nicht. Leistungsverdichtung...
Vielleicht liegt es auch am Alter, mit 55 hat man noch mehr vor sich.
Auch. Aber die Arbeit hat sich verdichtet, dadurch kamen Ungerechtigkeiten auf. Die, die keinen Leistungsnachweis bringen mußten und die nach meiner Meinung mitverantwortlich sind für die Pleite, die schimpften auf die Leute, die wirklich gearbeitet haben. Viele waren stinkig und haben sich ungerecht behandelt gefühlt. Belegschaftsanregungen wurden immer wieder von dieser betrieblichen Hierarchie verworfen. Nach Jahren konnte es dann passieren, daß sie dann doch eingeführt wurden und der Angestelltenapparat sich das an die Brust geheftet hat. Das zu den Gefühlen.
Ich wollte aber fragen nach dem Gefühl über die betriebswirtschaftliche Grundlage des Schiffbaus und der Werft?
Jeder wußte, es stimmt was nicht. Jeder merkte von innen heraus, da läuft was verkehrt. Für mich war klar, 1994, das war der letzte Sozialplan.
War das Vulkan-Scheitern zu verhindern?
Wir haben vor zwei Jahren ein Papier ausgearbeitet, in dem das genau drinstand: die Arbeiter haben doch gewußt, wo überall etwas schief läuft bei der Arbeit. Aber die Arbeiter hat niemand gefragt, die hatten nichts zu sagen. Dieses Papier ist übrigens auch in der taz nicht erwähnt worden damals, die fand das auch nicht wichtig.
Im Nachhinein sagen alle: Daß Schiffbau nicht zu Weltmarktpreisen in Deutschland zu machen war, auch nicht in Vegesack, das wußten eigentlich alle.
Stimmt. Das wußten wir, deshalb haben wir Vorschläge gemacht, Wir haben Ende 1993 Anfang 1994 in der Schlosserei eine Brachenversammlung mit den Kollegen gemacht und gesagt: Wir müssen was tun. Die schaffen es nicht, die Betriebsorganisation so in den Griff zu kriegen, daß wir reibungslos arbeiten können. Es hat heiße Debatten gegeben, wir haben und am Ende darauf geeinigt, daß wir mit unseren Ideen zur Geschäftsleitung gehen. Arbeiter werden nicht gefragt.
Übrigens: Auch jetzt vor dem Untersuchungsausschuß ist kein Arbeiter befragt worden.
In dem Untersuchungsausschuß sitzen doch nur die Parteigänger der Mittäter. Der einzige, der gegen den ganzen Klüngel angestunken hat, der sehr viele Anfeindungen dafür bekommen hat weil er das gesagt hat, was wir alle wußten, das ist der Ralf ( Fücks).
Zu dem ganzen Gerede will ich eines klarstellen: Der Bremer Vulkan hat 1990 einen Kooperationsvetrag mit den Ostwerften verhandelt, da wurde unterschrieben. Von 1990 bis 1993 ist die Bremer Vulkan-Werft die Mutter gewesen, da gab es die Konzern-Holding noch nicht. Und der Vorstand und ca. 100 Angestellte haben nur für diesen sich aufblähenden Konzern gearbeitet. Der Betriebsrat mußte zum Teil ein Vierteljahr warten, um einen Termin zu bekommen, damit er Probleme besprechen konnte. Die sind Busweise aus Vegesack mit Meistern und Ingenieuren weggefahren, im Osten arbeiten. Da sind Leute gewesen, die sind hier nicht mehr aufgetaucht, haben nur da gearbeitet. Die haben fertige Zeichnungspakete aus Vegesack abgeholt, Aufträge, die für Vegesack hereingenommen worden sind, haben die bekommen. Darf ich das von den 850 Millionen abziehen? Was kostet denn überhaupt dieser technische Transfer? Die Leute aus Wismar sind mit offenen Armen in den Jahren 90 bis 93 aufgenommen von dieser Belegschaft in Vegesack, die haben hier gearbeitet, Gewerbliche wie Angestellte, haben sich and den Arbeitsrhythmus gewöhnen können. Daß man dann hinterher hingeht und das alles nicht mehr wissen will und fürchterlich schimpft, und das auch noch ernsthaft meint, dafür habe ich keine Worte. Das finde ich schlecht.
Enttäuscht?
Nein, das muß man aber so sehen: Wir haben unsere Arbeitsplätze verloren, damit die ihre Arbeitsplätze behalten. Es gibt gewisse Dinge, die heute keine Rolle mehr spielen. Wir haben schon 1990 darunter gelitten, daß der Hennemann das gemacht hat. Sicherlich hat der seine Liquidität damit aufgebessert, von seiner Sicht aus nachvollziehnbar. Richtig ist aber: Wenn man einen spitzen Bleistift nimmt, dann sind das keine 850 Millionen. Damit tut man dieser Belegschaft wirklich weh. Diese Belegschaft hat dafür gearbeitet, daß die anderen überleben können.
In Vegesack wird demnächst alles stillgelegt. Bisher gibt es keine Perspektive für die produktiven Anlagen.
Da bin ich auch sehr skeptisch. Die Diskussion läuft wie 1982/83 bei der AG Weser, nur daß die Köpfe andere sind. Damals war Arno Weinkauf bei der IG Metall, heute heißt der Manfred Muster. Damals war Heseler ( Uni-Hochschullehrer und Werften-Spezialist, d. Red.), heute heißt er Hickel (Uni-Professor für Ökonomie, d. Red. ). Damals hat Nils von Haken die Interviews im Radio immer wieder gemacht, heute macht die der Sablottny. Damals waren es Kunick und Wedemeier, heute ist es Detmar Leo. Die Köpfe haben sich geändert, die Sprüche sind die gleichen geblieben.
Damals ist genauso alles gesagt worden: Da kommt Herr Grunau. Das war ein Freund des Arbeitssenators Grobecker, der hat die Gelder abgestaubt und hat die Entzunderungsanlage in Gang gehalten, das waren 20-30 Arbeitsplätze auf dem AG Weser-Gelände und irgendwann war das auch weg. Dieses Beispiel muß man wirklich studieren. Was ist da denn groß passiert? Nichts, verglichen mit dem, was gewesen ist.
Jetzt wird alles abgerissen auf der AG Weser.
Und wann war die Schließung? Vierzehn Jahre haben die gebraucht. Und wieviele Jahre brauchen sie auf dem Vulkan? Wenn sie schnell sind, brauchen sie fünf Jahre. Man muß sich folgendes klarmachen: Du kannst ja nicht alles machen auf dem Vulkan, weil Herr Scherf die Schließungsbeihilfe beantragt hat. Das bedeutet: du darfst mindestens fünf Jahre lang keinen Handelsschiffbau mehr machen und auch keine Zulieferung für Handelsschiffbau. Das bedeutet für alle Berufsgruppen: das, was sie können, was sie machen könnten, das dürfen sie nicht. Fünf Jahre lang. Toll, ne? Was willst du da machen? Was Neues, da sind alle Stadtväter hinterher und da gibt es cleverere als Scherf und Nölle. Bei der AG Weser hat es 14 Jahre gedauert, bis da vielleicht so ein Vergnügungspark hinkommen soll, der ja auch keine Arbeitsplätze ersetzt. Beim Vulkan gibt es nichts als die gleichen Sprüche. Die Belegschaft der AG Weser wohnte über die ganze Stadt verstreut, Vulkan ist zu 60 Prozent Bremen Nord, 40 Prozent Umland, Niedersachsen. Da habe ich nicht viel Hoffnung.
Auf der Werft gibt es umfangreiche Archive, Sozialdaten. Die Geschichte des Vulkan. Was passiert damit?
Man kann nur hoffen, daß nicht wieder so geschlafen wird wie bei der AG Weser. Da sind die Sozialdaten vernichtet worden, Reißwolf. Für den Vulkan müßte es eine Stelle geben, die zunächst einmal alles unter Verschluß nimmt. Es muß vor allem ausgeschlossen werden, daß die Berufsgenossenschaft die Gesundheitsdaten des Werksarztes übernimmt. Das wäre fürchterlich. Das sind auch persönliche Gespräche, die ich mit dem Vertrauensarzt geführt habe, die ich mit der Berufsgenossenscharft so nie führen würde. Normalerweise müßte es eine Gesetzesinitiative geben, die regelt, was mit den persönlichen Daten im Falle eines Konkurses passiert
Personalakten z.B.– wo kommen die hin?
Das weiß man nicht, wohin die kommen. Vielleicht kauft die ja der Arbeitgeberverband. Zum Beispiel.
Der Konkursverwalter Wellensiek hat zu Rolf Spallek, meinem Kollegen, gesagt: Das wäre ja das erste Mal, daß ein Betriebsrat auf so eine Idee kommt, diese Daten absichern zu wollen. Also gehe ich davon aus, daß der erfahrene Konkursverwalter die in anderen Betrieben auch schon verscheuert hat.
Es müßte eine Gesetzesinitiative geben, daß bei Pleiten persönliche Daten und Sozialdaten gesichert aufgehoben werden oder daß sie jedem Mitglied des Betriebes ausgehändigt werden müssen. Wir haben alle Institutionen angeschrieben, die haben uns groß angeguckt.
Und die IG Metall?
Die IG Metall Bezirksleitung Hamburg, Teichmüller, hat einen freundlichen Brief geschrieben und gesagt, daß das das erste Mal sei, daß Kollegen auf so eine Idee kommen, wir sollten uns doch bitte an den Vorstand der IG Metall wenden. In Frankfurt. Das sind die üblichen Briefe, wenn man nicht mehr weiter weiß. Zumindest wäre hilfreich gewesen, wenn der Kollege Bezirksleiter geschrieben hätte: Das ist eine Idee, daran haben wir noch nie gedacht. Er hat ja auch genug zu denken, was er sagt vorm Untersuchungsauschuß. Da kann man nicht an solche Dinge für die Kollegen auch noch denken. Zumindest hätte er sich darum kümmern können und selbst eine Initiative starten. Das wäre eine Antwort gewesen, mit der man etwas anfangen könnte.
Hat denn jemand am Werkstor aufgepaßt, daß die nicht verschwinden?
Wer will denn darauf aufpassen? Seitdem klar ist, daß die Bude dichtgemacht wird, paßt doch keine Belegschaft mehr auf. Die Belegschaft hat aufgepaßt, als es noch in der Schwebe war: Geht es weiter oder nicht? Heute kümmert sich kein Mensch mehr darum, was da rausgeht und was nicht rausgeht.
Int.: Klaus Wolschner
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