: Frustriert nach vorne
■ "Panel" goes Multimedia: Bremer Comiczeitschrift fusioniert Text & Musik
Wo erscheint die einzige deutsche Comic-Zeitschrift mit Schwerpunkt Kurzgeschichten-Publikation: in Bremen. Wer weiß das? Kaum einer. Wo gibt es „Panel: ambixious comix“zu kaufen: In drei Comic-Läden, in einem Videoverleih, in diversen copyshops. Comic, heimatlos, obdachlos, ohne vernünftiges Vertriebssystem! Noch immer!
Dabei war die Lage mal so hoffnungsvoll. Mitte der 80er Jahre glaubten die großen Verlage von ehapa über Feest bis Carlson an das Erblühen einer Comic-Kultur in Deutschland, an einen Anschluß ans Umland, also an die Comicbegeisterung der Franzosen und Belgier und warfen flugs ein teures Album nach dem anderen auf den dürstenden Markt. In jeder deutschen Tageszeitung meldete sich mindestens ein mal im Jahr ein freier Mitarbeiter mit mehr oder – meist – minder ausgeprägten Comickenntnissen zu Wort, um Kund zu tun: Comic ist mehr als Urghsen und Wurghsen. Seit mindestens 15 Jahren gönnen sie uns diese deja vu-Erlebnisse, ganz unerbittelich. An der Erfolglosigkeit des Comics jenseits der Witz- und Abenteuerserien hat sich nichts geändert. Die Rufer sind immer noch da, allerdings auch die dazugehörige Wüste.
Die desolate Situation spiegelt sich in der Bremer Szene in ambivalenter Weise wider. Den Herausgebern der Zeitschrift „Panel“geht langsam die Lust aus, die Angebote zum Comic-Abdrucken aber nehmen zu. 1990 meldeten sich sieben ambitionierte junge Leute zu Wort und Bild. Zwei sind davon übergeblieben, Bert Dahlmann und Stefan Ernste. „Aus zwei Richtungen stürzten sich einst junge Leute auf das Medium“, erzählt Stefan Ernste. Zum einen waren es Werbegraphiker, die ihr im Job mißachtetes kreatives Potential möglichst flippig ausagieren wollten, zum anderen Kunststudenten, die nach einer noch unbelasteten Gattung suchten. „Die haben alle schlapp gemacht. Hier in Bremen kenne ich wenige, die noch zeichnen.“Stefan Ernste ist rundumfrustriert, schlecht zu sprechen auf allen und jeden, auf Produzenten wie Konsumenten, Verlage und Buchhändler sowieso. Den Verlagen ginge es nur um die schnelle Mark. Wenn sie schon mal nach dem underground griffen, dann täten sie das „ohne auch nur das geringste zu verstehen“. Zum Beispiel Peter Bagges biographische Langzeitstudie „Hate“! Vorschnell fallengelassen aus Mangel an Erfolg. Über die Buchhändler: „Ahnunglos! Die kennen Moers, Koenig, Superman, Batman, am Boden dann vielleicht noch ein Stapel von Spiegelmans „Mouse“und Gaimans „Sandman“, so zwecks Anspruch.“Und auch für die Zeichner findet er jederzeit ein paar anerkennungsverweigernde Worte: „Das Problem ist oft: da zeichnet einer gerne, findet aber keine story.“
Seit geraumer Zeit stagniert die Auflage von „Panel“bei der Richtmarke 1.500. Immerhin, seit ein Comicmagazin nach dem anderen dahinschwindet, sind auch nahmhafte Zeichner bereit in Panel zu veröffentlichen und zwar ohne Honorar, nur damit die Schublade ausgekehrt wird: die Max und Moritz-Preisträger Isabel Kreitz und Reinhard Kleist, Hannes Neubauer und Stephan Katz, der sich von Titanic-Kultautor Max Goldt betexten läßt. Außerdem kurbelt die notorische Erfolglosigkeit den Mut zur Seltsamkeit an.
Und trotz Frust: die Panel-Mannschaft sucht nach neuen Konzepten. Die Zusammenarbeit mit ähnlichen Publikationen im Ausland, zum Beispiel in Finnland, ist in die Wege geleitet. Das Ziel: Undergroundcomic europaweit, am besten mitverbreitet durch einen amerikanischen Vertriebspartner. Außerdem soll die synästhetische Grundidee des Comics soll eine Stufe weiter gedreht werden. Zu den Comics wird auf CD ein passender Soundtrack beigelegt werden. Kaum entfert von Wagnerschen Gesamtkunstformat. bk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen