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Kreml will Militär auf die Finger schauen

■ Präsident Jelzin schafft sich eine Militärinspektion. Deren Chef Andrej Kokoschin soll die Armeereform forcieren

Moskau (taz) – Der Kreml unternimmt einen weiteren Versuch, die lang angekündigte Militärreform nun endlich zu beschleunigen. Per Dekret schuf Präsident Jelzin am Donnerstag die Staatliche Militärinspektion des Präsidenten (SMIP). Ihre Aufgabe soll es sein, alle mit inneren und äußeren Sicherheits- sowie Verteidigungsfragen befaßten Behörden zu kontrollieren, ihr Finanzgebaren zu überwachen und Strukturveränderungen vorzunehmen. Als Initiator des Projektes gilt Vizepremier Anatoli Tschubais, der sich von der Koordinierung der sogenannten Kraftministerien erhebliche Kosteneinsparungen versprechen soll.

Im Juli letzten Jahres hatte Jelzin bereits einen Verteidigungsrat gegründet, der von seiten der Kremladministration die Armeereform in Angriff nehmen sollte. Der Vorsitzende Juri Baturin war in den vergangenen Monaten immer weiter ins politische Abseits geraten. Bei der Generalität, die sich gegen jegliche Reformvorhaben stemmte, konnte sich Baturin kein Gehör verschaffen. Unterdessen munkelt man in Moskau, sei es dem seit Frühjahr amtierenden Verteidigungsminister Sergejew gelungen, entscheidende Festungen der Reformgegner innerhalb der Armee zu schleifen. Baturin wurde dadurch zunehmend überflüssig. Der Verteidigungsrat wird indes als konsultatives Organ erhalten und Exchef Baturin bleibt im Beraterstab des Präsidenten.

Der frisch ernannte Leiter des SMIP, Andrej Kokoschin, dient schon seit Mai 1992 als Vizeverteidigungsminister, der seine beiden Vorgesetzten unangefochten überlebt hat. Wesentliche Momente des Reformvorhabens sollen aus seiner Feder stammen und schon seit längerer Zeit fertig in der Schublade liegen. Die Verteidigungsminister Rodionow und Gratschow brachten den Vorschlägen aber kein Interesse entgegen. Zwar hat Rußland immer noch keinen zivilen Verteidigungsminister, dafür aber nun einen Zivilisten mit dem Auftrag, dem militärischen Ungetüm und seinen höchst umstrittenen finanziellen Machenschaften genauer auf die Finger zu schauen. „Kokoschins Ernennung signalisiert die praktische Umsetzung der Armeereform“, kommentierte ein Mitarbeiter des Kreml. Noch ist es allerdings ein Projekt.

Kritische Stimmen warnen bereits davor, Kokoschin, der beste Beziehungen zum militärisch-industriellen Komplex (MIK) unterhält und sogar als dessen Lobbyist gilt, werde auf Kosten der Armee und Generalität lediglich den Rüstungssektor stärken. Der 51jährige absolvierte in Moskau die Technische Hochschule Baumann und bekleidete vor seiner Regierungslaufbahn den Posten des stellvertretenden Direktors des Instituts für Amerika- und Kanadastudien. Klaus-Helge Donath

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