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Sätze ins Hirn geschraubt

■ Peer Hultberg wird mit dem Irmgard-Heilmann-Preis beehrt

Wenn heute abend im ehrwürdigen Literaturhaus die Tischdecken zurechtgezupft werden, besteht anschließend bei freien Eintritt die Chance, der längst fälligen Würdigung eines nahezu unbekannten wie begnadeten Dichters beizuwohnen. 1935 in Dänemark geboren, hat Peer Hultberg über den polnischen Autor Vaclav Berendt promoviert und in London polnische Literatur unterrichtet. Jetzt wird er mit dem renommierten Literaturpreis der Irmgard-Heilmann-Stiftung geehrt.

Hultbergs Werk - von der Kritik einhellig gelobt - folgt schnurgerade dem Prinzip: Es muß erst alles rückhaltlos zergliedert werden, um etwas Neues zu erschaffen. Setzte er in Präludien in einer Folge aus mehreren hundert Prosaschnipseln die Kindheit Frédéric Chopins zusammen, beschrieb er in seinem Epos Die Stadt und die Welt, aus dem Hultberg heute abend lesen wird, den Mikrokosmos Stadt. Schauplatz ist eine fiktive jütländische Stadt samt ihrer Bewohnerschaft, denen Hultberg in hundert Kapiteln auf den Pelz rückt; hundert einzelne Lebensschilderungen aus unserem Jahrundert, die jeweils für sich einen Roman ergeben könnten. Detailbesessen erzählt uns Hultberg von verkorksten Ehepaaren, mißratenen Söhnen, von Seitensprüngen und lebenslänglicher Treue, von Familiendramen aller Arten. All dies geschrieben mit einer erzählerischen Leichtigkeit und zugleich einer Konzentration auf das Wesentliche, auf das sich einem die Sätze beim Lesen ins Hirn schrauben.

Gleiches gilt für sein neues Buch Spurweiten, das in diesen Tagen passend zur Preisverleihung ausgeliefert wird. Diesmal ein eher schmaler Erzählband, der dennoch nicht mit dem Hultbergschen Verfahren bricht, sich manisch wie distanziert zugleich den Mysterien der menschlichen Existenz zu widmen. In der Titelgeschichte folgen wir entlang von 49 Minaturen den verschlungenen bis folgerichtigen Lebenspfaden so skurriler wie bedauernswerter Figuren wie der Sektenfrau, die als letzte ihrer Gemeinde auf dem Friedhof vergeblich nach den ihr unbekannten Eltern sucht, oder dem krebskranken Mann, der aus Scham über den mißglückten Selbstmord sich nun vom Scheitel des steinernen George Washington am Mount Rushmore erfolgreich in die Tiefe stürzt. Und wenn Seiten später sich eine junge Touristin auf der Suche nach meditativer Stille irritiert über dessen klebrige Überreste beugt, weiß man wieder, daß nichts, was wir unternehmen, ohne Folgen bleibt.

Frank Keil

Preisverleihung und Lesung, heute, 20 Uhr, Literaturhaus.

Peer Hultberg, „Spurweiten“, Residenz-Verlag, 1997, 40,80 Mark

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