■ SPD und CSU: Law-and-order-Parolen ersetzen Politik: Sheriffs stellen sich zur Wahl
Wer zieht schneller, wer schießt schneller, wer bringt mehr unliebsame Gestalten hinter Schloß und Riegel – kurz, wer hält Dodge City besser sauber? Die Versprechungen werden immer besser, vielleicht werden die Kontrahenten demnächst ja einige praktische Proben ihres Können zum besten geben. Zeit bis zur Wahl ist ja noch reichlich vorhanden.
Noch ein ganzes Jahr bis zur Bundestagswahl, und schon jetzt hat man das Gefühl, hier laufe der falsche Film. Da beginnt gerade mal die Aufwärmphase, und den großen Parteien fällt nichts Besseres ein, als ihre Anhängerschaft mit Parolen zu mobilisieren, die einer Sheriffwahl im Mittleren Westen durchaus angemessen wären. Sexualstraftäter wegsperren, Ausländer abschieben, Jugendstrafrecht abschaffen. So eingängig wie die bayerische Vorlage war schon lange kein Antrag im Bundesrat mehr.
Nachdem Schröder mit seinem Vorstoß in die vermeintliche Mitte der deutschen Gesellschaft die Union auf dem falschen Fuß erwischte, will Stoiber nun endlich die Schlappe wettmachen und Schröder beim Wort nehmen. Soll die SPD doch mal Farbe bekennen. Das Schlimme ist, sie tut es, und die Farbtöne, die dabei zum Vorschein kommen, tun einem in den Augen weh. Kaufhausdiebstahl, Handtaschenklau und die Fischzüge organisierter Einbrecherbanden werden als die eigentlichen Probleme der Republik propagiert. Die CDU hat früher schon versucht, den Hütchenspieler zum Politikproblem Nummer 1 zu erklären. Neu ist, daß auch Teile der SPD die Mobilisierung von Ressentiments plötzlich begeistert als Hinwendung zu den Problemen des kleinen Mannes anpreisen.
Rechenkünstler, die das für eine ganz geniale Strategie halten und glauben, nur so könne man die notwendige Bandbreite des Volkes hinter Rot-Grün versammeln, mögen einige Kleinigkeiten bedenken. Ressentiments, einmal gut geschürt, lassen sich nach der Wahl nicht zusammen mit den Broschüren in den Müll befördern. Leute, die einen Sheriff gewählt haben, wollen den Sheriff dann auch in Aktion sehen. Das ist das eine. Das andere sind die Fragen, für die ein Sherrif sich nun mal nicht zuständig fühlt. Der Umbau der Industriegesellschaft, die Zukunft der Europäischen Union, der Erhalt der Umwelt, alles kein Problem für den Sheriff.
Wenn die zentralen Fragen der Republik schon im Vorwahlkampf dem Stammtisch geopfert werden, was kommt dann eigentlich noch in der heißen Phase des Wahlkampfs auf uns zu? Jürgen Gottschlich
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