Einzelhändler und Einzelgänger

■ Die 1. Altonaer Kulturtage beleben die finanziell und ideell gebeutelte Stadtteilkultur

Beim Optiker hängen Fotos von 25 verschiedenen Schielstellungen der Augen im Fenster und beim Fotogeschäft eine Montage aus über vierzig Sonnenfotos. Merkwürdiger wird die Dekoration schon, wenn neben alten Feinwaagen im Apothekenfenster „Eigenerinnerungsrequisiten“liegen und im „Garnhuus“ein weißes Kleid mit einer Guillotine bedruckt ist.

Manche Überraschungen bietet zur Zeit ein Schaufensterbummel in Bahrenfelder Straße und Ottenser Hauptstraße, und die Frage drängt sich auf: Könnte das gar Kunst sein? In der Tat, 25 Geschäfte haben Hamburger Künstlern ihre Fenster bis zum 21. September zur Verfügung gestellt, und so wurde der Handel zum wesentlichen Träger der 1. Altonaer Kulturtage. Mit zusammengekratzten Projekt- und Sondermitteln hat das Bezirksamt ein Drittel der Projektkosten finanziert, zwei Drittel kommen von Unterstützern und Sponsoren. Der kunstsinnige Kulturausschuß der Bezirksversammlung, der seit 1994 aufgrund fehlender Mittel keinen „Altonaer Kunstpreis“mehr vergeben kann, setzt mit seiner Initiative ein deutliches Signal für die an ideologischer und finanzieller Auszehrung leidende Stadtteilkultur.

Und es gibt breite Zustimmung auf beiden Seiten: Dreihundert Künstler hatten sich beworben und die Einzelhändler haben sich außerordentlich kooperativ gezeigt. Das Gesamtprojekt, das mit seiner mutigen Setzung als „erstes“implizit weitere Kulturtage fordert, steht unter dem Motto Kunst und Kommerz , und es kann dieser problematischen Paarung ebenso positive wie kritische Seiten abgewinnen. Am extremsten wird das Thema ausgereizt, wenn fünf Bilder von Todd Severson nur nach vorheriger Absprache mit einer Bank in deren Tresorraum betrachtet werden können.

Hajo Schiff

Auswahl aus dem Programm: Eröffnung : heute 14 Uhr, Mercado; Eröffnung Todd Severson: Dienstag, 18 Uhr, Volksbank Hamburg, Max-Brauer-Allee 42; „Art(A) Fair“: Freier Kunstmarkt in der Fabrik, 14. Sept., 11 Uhr; Kunstgespräch: „Wieviel Kommerz verträgt die Kunst, wieviel Kunst der Kommerz“mit Brigitte Bedei, Achim Könneke, Michael Lingner und Ute Vorkoeper, 17. Sept., 20.30 Uhr, Freßco, Rothestr. 50; Verleihung der Preise für die drei besten Schaufenster, 19. Sept., 10 Uhr, Foyer des Altonaer Theaters.

Weitere Ausstellungen in der Chaos Galerie (Zeisehallen), im Foyer der Asche AG (Fischers Allee), der Galerie Kö I + Schaufenster (Holstenstr. 88) und der Bücherhalle Altona sowie musikalische Aktivitäten, Führungen und Diskussionen ergänzen das Projekt.