: Ab durch den Vorgarten!
■ KUNSTspaziergang „Privatgrün-Stadtgrün“wird Sonntag eröffnet
Schwachhausen ist zu schön für Kunst. So lautete die mehr oder weniger offizielle Kulturdoktrin Bremens in den 70er Jahren, als sich die Kunst im öffentlichen Raum dort abzuspielen hatte, wo Plattenbauten und Betonwüsten dominierten. Großbürgerliche Stadtteile wie Schwachhausen, in denen selbst kreuzordinäre Türklingeln nicht selten so aussehen, als ob sie Mozart zur kleinen Nachtmusik hätten inspirieren können, galten als künstlerisch ausgereizt. „Es fehlte“, wie der Leiter der städtischen Galerie Hans-Joachim Manske diese Position rückblickend charakterisiert, „der ästhetisch defizitäre Raum.“
Daß der Mangel an diesen Defiziten Kunst in Schwachhausen nicht unmöglich macht und Kunst auch dort ihren Ort haben kann, wo sie mit mondänen Villen und gepflegten Vorgärten konkurriert, zeigt ab Sonntag eine ungewöhnliche Ausstellung mit dem vielsagenden Titel „Privatgrün-Stadtgrün. Ein KUNSTspaziergang in Bremen-Schwachhausen“.
Jenseits von geschlossenen Museumsräumen haben 15 KünstlerInnen aus Bremen, Berlin, Bonn, Hamburg, Münster und Amsterdam auf privaten und öffentlichen Grünflächen diverse Objekte realisiert. Auf Anregung des örtlichen Ortsamtes wurde eine Idee aufgegriffen, die, wie Rose Pfister, Referentin der Kulturbehörde, betont, vor Jahren bereits in Köln für Furore gesorgt hatte: Die privaten Gartenanlagen, auf denen allenfalls während der Sommermonate ein Grill die Idylle aus Obstbäumen und Rosenbeeten stört, werden zu öffentlichen Räumen, zu Kunststandorten gemacht. Nicht nur verändert sich dadurch das Verhältnis von privater und öffentlicher Sphäre. In der Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk und dem Kunstschaffenden erfährt auch die Beziehung der BürgerInnen zu ihrem Stadtteil einen Wandel.
Kunst im öffentlichen Raum ist, stärker noch als andere Formen künstlerischer Betätigung, immer auch das Resultat einer intensiven Auseinandersetzung. In diesem Fall eben zwischen den GartenbesitzerInnen und den Kunstschaffenden. 26 Installationen und Objekte, die in jenen Gärten und auf öffentlichen Grünflächen zu sehen sind, sind das produktive Resultat dieses Prozesses.
Die Rose – Inbegriff bürgerlicher Kleingartenidylle. Wenn sie jedoch, wie die Installation der Bremerin Ursula Barwitzki, einen Durchmesser von 2,40 m hat und zudem aus riesigen, rosafarbenen Plastikschüsseln besteht, verleitet sie kaum zu romantischen Assoziationen. Die Ironisierung und das Spiel mit der romantischen Ausstrahlung des Viertels insgesamt stehen auch im Mittelpunkt der interaktiven Arbeit von Anna Reckmann. Die Münsteranerin hat entlang der Georg-Gröning-Straße Schilder an Bäumen befestigt. Kleine Kontaktanzeigen auf diesen Schildern verweisen auf Ereignisse aus den letzten 20 Jahren Mediengeschichte und fordern die PassantInnen zum Dialog auf. Wer will, kann die Künstlerin sogar unter der angegebenen Nummer telefonisch erreichen.
Susanne Bollenhagen aus Münster hat ein kleines Frisörgeschäft in der gleichen Straße ausgewählt, um ihre Installation „Haarkugeln“zu realisieren. Auf 100 rostigen Eisenstäben hat sie zu kleinen Bällen geformte Haare von FreundInnen aufgespießt um sie, ganz ohne Dreiwettertaft, den widrigen Wetterbedingungen des ausgehenden Sommers auszusetzen.
Martin Voßwinkels „Rollfeld“am Richard-Strauß-Platz setzt sich hingegen ganz bewußt den Kindern aus. Auf einem sonst als Fußballplatz genutzen Rasen hat er 40 ockerfarbige Zementkugeln verteilt, in der Hoffnung, daß die AnwohnerInnen die starre Vorgabe des Werkes zum Anlaß nehmen, sie nach ihren Ideen zu verändern.
Kann man in Schwachhausen überhaupt Kunst machen? Diese Frage aus den 70er Jahren hat durch diese Ausstellung am Ende des Jahrhunderts eine durchweg originelle Antwort erfahren: Man kann. zott
Der Spaziergang wird am Sonntag um 14 Uhr auf dem Gustav-Pauli-Platz eröffnet. Die Ausstellung ist bis zum 11. Oktober zu sehen. Jeweils am Sonntag finden um 14 Uhr Führungen statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen