Vor allem die Selbstzensur

■ Nicht einmal eine zarte Andeutung von Po: Zur "Zensur"-Ausstellung im Comicladen "Grober Unfug"

„Zensur – Dokumentation eines häßlichen Phänomens“ heißt halbironisch die Ausstellung, die in der Galerie des Comicladens „Grober Unfug“ zu sehen ist. Prima Thema, bei dem man vielleicht ein bißchen Wut erwartete, weil der Kreuzberger Comicladen in den letzten Jahren ein paarmal wegen pornographischen Unfugs von der Polizei durchsucht worden war, und überraschende Verdrehungen möglicherweise, weil hier auch das Hauptquartier von „Jochen Enterprises“ ist, dem in Berlin vermutlich immer noch innovativsten Verbreiter mehr oder weniger seltsamen Trashs. Doch leider handelt es sich lediglich um „ein repräsentatives Destillat“ einer Ausstellung, die beim letzten Comic- Salon Erlangen zu sehen war. Und das macht dann doch einen eher brav geordneten Eindruck.

In einer Vitrine liegen einige Pin-up-Magazine der frühen BRD. Die heißen Gondel oder Neue Melange und verdarben mit zarten Po- oder Busenandeutungen den männlichen Nachkriegsblick ab 18. Das Cover des Herrenmagazins Smart von 68 ging mit nacktem Offensivbusen auf Männerfang. Bei dem vor zwei Jahren beschlagnahmten Titelblatt von Ralf Königs „Kondom des Grauens“, einer verdeckten schwulen Blas-Szene, denkt man, daß die heterosexuelle Variante vermutlich nicht von der linksliberalen Öffentlichkeit verteidigt worden wäre.

Abgesehen von zwei antichristlichen Moers-Covers, dem kurzzeitigen deutschen Verbot von Art Spiegelmans „Maus“ und den Kassettenhüllen diverser Splatterfilme, die sich hinter Glas stapeln, handelt es sich bei den Exponaten vor allem um Fälle von Selbstzensur. Das ist zuweilen ziemlich strange, wenn man auf dem noch unzensierten Prinz Eisenherz- Strip von 1958 den angedeuteten Busenschwung unter der Bluse erkennen kann und in der retuschierten Fassung der Busen dann weg ist. Einfach weggemacht, weil Busen böse sind. Knapper läßt sich die 50er-Jahre-Prüderie kaum zusammenfassen.

Sehr phantasievoll waren die alten Zensoren. In seiner Anti-Comic-Kampfschrift „Seduction of the Innocent“ aus den fünfziger Jahren berichtet der Amerikaner Frederic Wertham von einer versteckten Darstellung des weiblichen Genitals, das er in der Schulterpartie einer Comic-Figur entdeckt hatte. Ein bißchen erinnerte das an die amerikanischen Prozesse vor einigen Jahren, bei denen es um angebliche Selbstmordaufforderungen ging, die die Band Judas Priest auf einer Platte versteckt und damit unschuldige Kinder in den Tod getrieben hätte.

Dokumentiert werden in der Ausstellung die immer absurden Kämpfe besorgter Eltern gegen das kindsverderberische Genre Comic. Die Kampagnen wurden ähnlich geführt wie heute; d.h., es wurde mit Ansteckung, Suchtsymptomen, Lesestörungen argumentiert. Besonders lustig sind dabei Zitate aus der Wiener Zeitschrift Dein Kind kommt zu dir, die eine Million Unterschriften gegen Comics gesammelt hatte: „Soll das Knallen der Pistole, das Schreien und Röcheln der Opfer zur Sprache Deines Kindes werden? Bei einem Tiefschlag in den Magen ,Hier etwas für die Verdauung‘. Bei einem krachenden Kinnhaken: ,Und das für ein Nickerchen‘.“

Teilweise waren die Kampagnen durchaus erfolgreich. In Micky Maus und anderen Magazinen wurden ab und an die Pistolen der Polizisten rausretuschiert, oder eine Granate wurde durch einen Fußball ersetzt. Weniger erfolgreich dagegen war 1969 die Forderung der CSU, Micky Maus wegen kommunistischer Infiltration zu verbieten. Besonders erregte man sich über einen Strip, in dem ein Panzerknacker verkündet: „Ihr müßt euch in den Besitz der Produktionsmittel setzen [...], dann habt ihr alles, was ihr braucht.“ Später wird gar Onkel Dagobert mit einem „Frag nicht so dumm, alter Kapitalist!“ beschimpft.

Merkwürdig auch einige aktuelle Comic-Selbstzensuren. In der für den deutschen Markt bestimmten Ausgabe eines Penthouse Comics von 1994 zum Beispiel, in der es um eine trashige Nazigeschichte geht, wurden alle Hakenkreuze weggemacht und wurde Hitlers Gesicht gebalkt. Skurril muten einige angeblich zensierte Plattencover an. Auch der Chef des Groben Unfugs, Torsten Alisch, konnte sich nicht daran erinnern, daß das Roxy-Music-Album „Country Life“ je ohne die zwei Bikinimädchen erschienen war, von denen das eine zwei Finger in sein Höschen gesteckt hatte.

Irgendwie ist die Ausstellung zwar interessant, aber doch auch recht artig. Die Fronten sind klar. Zensur ist böse. Daß in den letzten Jahren in erster Linie neonazistische Platten, Schriften und auch Comics verboten wurden, wird mit keinem Wort erwähnt. Genauso wenig erfährt man von aktuellen Fällen: Vor kurzem hat Familienministerin Claudia Nolte zum Beispiel darauf gedrängt, die Zeitschrift Hanf zu indizieren, weil darin ein öffentlicher, von diversen Wissenschaftlern unterzeichneter Aufruf stand, in dem eine andere Rauschgiftpolitik gefordert wurde. Detlef Kuhlbrodt

Bis 8.11., Mo.–Fr. 11–19, Sa. 11–16 Uhr, Zossener Straße 32/33, Kreuzberg