piwik no script img

Das PortraitGrober Heinrich wird Schöngeist

■ Heinrich Lummer

„Ich will noch einmal studieren.“ Auch so kann man seinen Rücktritt ankündigen. Heinrich Lummer wechselt 1998 vom Bundestag in den Hörsaal, gab er jetzt bekannt. Der 65jährige CDUler will sich in Zukunft mit Kunstgeschichte und Philosophie beschäftigen. Bisher machte Lummer weniger als Schöngeist denn als „Heinrich fürs Grobe“ von sich reden.

Der katholische Lummer stammt aus einer Bergarbeiterfamilie im Ruhrgebiet. Zum Politikstudium verschlug es ihn nach Berlin. Auf CDU-Ticket arbeitete er sich vom Leiter des Besuchsdiensts Bundeshaus zum Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus empor. 1970 zahlte Lummer 2.000 Mark aus der CDU- Kasse an eine Gruppe Rechtsradikaler. Als Gegenleistung klebten die Nazis Plakate gegen die regierenden Sozis. Bundesweit wurde der Zugezogene für seine „Berliner Schnauze“ bekannt. Den Osten der geteilten Stadt lernte der „Antikommunist“ bei einer Romanze mit der Stasi-Agentin Susanne Rau kennen.

1980 wurde Heinrich Lummer Berliner Parlamentspräsident, ein Jahr später Bürgermeister und Innensenator. In diesem Amt provozierte Lummer Hausbesetzer mit Pressekonferenzen in gerade geräumten Häusern und ließ die Berliner Alternative Liste vom Verfassungsschutz ausspähen. Wahren Kultstatus genießt seine Publikation „rot + grün = Chaos“. Die Abschaffung der Grundgesetzartikel 16 und 19, Garantie des Asylrechts, forderte Lummer schon 1985. Seine eindrucksvolle Skandalsammlung wurde 1986 durch Immobilienschiebereien komplettiert: Lummer und zwei Senatskollegen traten zurück.

Seit 1987 im Bundestag, äußert sich der Abgeordnete Lummer häufig: Die Themen variieren – der Tonfall ist immer gleich. Einen Aids- Zwangstest für männliche Singles konnte er ebensowenig durchsetzen wie die Todesstrafe für Erich Honecker. Lummer hat Kontakte zu Rechtsradikalen, die „Republikaner“ sind für ihn „potentieller Koalitionspartner“. Der zunehmende Bedeutungsverlust treibt Lummer zu immer schrilleren Aktionen. Vor einem Jahr traf er PKK-Chef Abdullah Öcalan, um Attentate in Deutschland zu verhindern. Der kleine Mann hat zahlreiche Nebenjobs: Er ist Autor für die rechtsradikale Junge Freiheit und leitet in Würzburg ein privates „Institut für Demokratieforschung“. Robin Alexander

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen