piwik no script img

Der tüchtige Wächter der Museumsbank

Es ist heiß im Museum, die Luft steht schwer zwischen den Werken der Kunst, doch zwischen dem kleinen Saal mit den Kandinskys und dem großen Saal der Gegenwart gibt es eine Sitzgelegenheit. Der Weg zu ihr ist schwer  ■ Von Mark Rothensee

Über der neuen deutschen Hauptstadt stand die Sonne. Leichter Dunst filterte das Licht, alles schien ein wenig unwirklich. Die Wärme erhob die Insekten in die Lüfte, machte die Touristen müde und verlangsamte das Wachstum der unglaublichen Baustellen, die sich in Berlin besichtigen lassen.

Nicht weit vom Potsdamer Platz steht der Martin-Gropius-Bau, neben den ehemaligen Folterkellern der SS und einem alten Stück der Mauer. Ruinen, die in sich die Vergangenheit zweifelhafter Rechtsprechungen tragen. Ein etwas unwirklicher, ein etwas kafkaesker Ort.

Es war heiß an diesem Tag im Martin-Gropius-Bau. Die Luft stand schwer zwischen Werken der Kunst, zwischen Bildern und Exponaten, zwischen Kandinsky vielleicht, Klee oder irgendwem. Besucher folgten, manche erschöpft, manche noch frisch, einem Rundgang durchs Haus: vom Anfang des Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Wer nicht folgte, kam in Konflikt.

Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kam ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne.

Zwischen einem kleinen Saal von Kandinsky und einem großen Saal der Gegenwart stand eine Bank. Keine symbolische, keine literarische, eine wirkliche Bank. Und auch ich stand da und war müde, im kleinen Saal, und besah ein Bild von Kandinsky, Klee oder auch irgendwem, denn das ist egal. Auf dieser Bank saßen drei Menschen und sahen in den großen Saal.

Und siehe, sie standen bald auf und gingen fort, die Bank war nun frei. Vorsichtig ging ich um sie herum und setzte mich hin. Nun sah auch ich in den großen Saal und bewunderte die Kunstwerke dort. Und ich sah einen Wärter. Der schritt entschlossen auf mich zu und legte sein Gesicht unterwegs in strenge Falten. Schließlich stand er vor mir: Es sei mir verboten, auf der Bank zu sitzen, so sagte er. „Warum?“ fragte ich, hier saßen doch vorher schon drei. „Das ist etwas anderes“, antwortete er, denn diese drei hätten sich der Bank von der anderen, und zwar von seiner Seite aus genähert. Ich hingegen hätte den Türrahmen durchschritten, um mich zu setzen, und durch diesen Türrahmen sei der Durchgang verboten.

Wenn es dich so lockt, versuche doch, trotz meines Verbotes hindurchzugehen. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der erste Türhüter. Von Saal zu Saal stehen aber Türhüter, einer mächtiger als der andere.

Ich blieb sitzen. Auf der anderen Seite der Bank stand nicht und nirgends „Durchgang verboten“, nur „Rundgang“, so sagte ich ihm und blieb sitzen. Der Türwärter blickte böse und ging, ohne mich eines weiteren Wortes zu würdigen. Ich sah den Türwärter an, und der Türwärter sah mich.

Während der vielen Jahre beobachtete der Mann den Türhüter ununterbrochen. Er vergißt die anderen Türhüter, und dieser scheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz.

Der Türwärter wackelte wichtig mit dem Funkgerät. Mir schien es, als wartete er auf mich. Doch wollte ich nicht aufstehen. Ich dachte an Kafkas Erzählung, dort saß ein Mann lange Jahre vor der Tür des Gesetzes und ging nicht zurück. Soviel Zeit hatte ich nicht. Auch war der Mann dort gestorben, alt vom Warten, das wollte ich nicht. Doch hatte ich Muße, Menschen zu studieren, Menschen aus aller Welt. Viele gingen an der Bank vorbei, durch die Tür in den großen Saal. Zu allen kam der Wärter. Manche gingen folgsam zurück. Manche gingen weiter und beachteten ihn nicht. Böse sah er ihnen nach. Und dann sah er böse auf mich.

Der Türhüter beugte sich hinunter und sagte dem alten Mann: Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt.

Das war also nicht wahr, diese Situation nicht nur für mich gemacht. Auch andere gingen durch die Tür. Also stand ich schließlich auf und ging hinein in den großen Saal, den Saal des Wärters. Erst sah er mich nicht. Doch vergebens. „Halt!“ rief der Türwärter hinter mir, ich dürfe hier nicht weitergehen. Hier sei der Durchgang verboten. „Das ist mir inzwischen klar“, antwortete ich, doch sei es nun mal passiert. Ich müsse zurückgehen, sagte er mir. „Das ist nicht möglich“, antwortete ich ihm, ich könne nicht zurückgehen durch die Tür, denn dort sei der Durchgang verboten. Doch für den Wächter wurde die Welt so wieder normal, minus mal minus macht plus. So blieb ich da, wir wurden laut, Menschen kamen dazu, und viele beschwerten sich über die Unfreundlichkeit in diesem Haus. Doch der Wärter fragte nur, ob er den Leuten eins aufs Maul hauen müsse, damit sie das Verbot befolgen.

Er tat es nicht, und ich ging meines Weges. Und eigentlich ist nichts passiert, ich bin nur durch eine Tür gegangen, von einem Raum in den anderen.

Über der deutschen Hauptstadt schien die Sonne, draußen auf der Straße war alles wirklich und Berlin womöglich eine weltoffene Stadt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen