Ein Schritt vor, einer zurück

■ Steuern, Rente, Haushalt: Koalition kann nicht mehr

Keine Personaldebatte mehr!, rief Helmut Kohl vorige Woche. Schluß, aus, Ende, jetzt machen wir nur noch Sacharbeit! Was seine Koalition unter Sacharbeit versteht, hat der Kanzler zu spüren bekommen, und zwar schneller, als ihm lieb war: ein Trauerspiel bei der Rentenreform, eine Steuerreform, die keinen Millimeter vorankommt, und ein Finanzhaushalt, der es völlig überflüssig macht, den Finanzminister wegen seiner Amtsmüdigkeit vorzuführen. Vermutlich wäre Helmut Kohl froh, könnte er heute eine gepflegte Debatte über die Kabinettsumbildung führen. Das Theater der letzten Tage über die Rentenreform zeigt exemplarisch, in welcher verfahrenen Situation die Koalition steckt. Eigentlich sollte die Reform erst ab 1999 wirksam werden. Wolfgang Schäuble aber, der Kopf der Koalition, will im Wahljahr vor allem Entschlossenheit demonstrieren. Er ist inzwischen davon überzeugt, daß ein Scheitern der Reformen der Koalition mehr Ärger machen würde als der SPD. Also beschlossen Union und FDP im August auf seinen Druck hin, die Rentenreform schon auf 1998 vorzuziehen. Erst später wurde einigen in der Koalition klar, was sie da beschlossen hatten: Durch das Vorziehen der Reform drohte eine Nullrunde für Rentner. Also Kommando zurück. Die Union einigte sich in Andechs ohne Schäuble: Die Reform kommt erst 1999. Am Montag dann, Schäuble war nach seiner Krankheit wieder zurück, beschloß die Union, daß die Rentenreform doch schon 1998 beginnen soll.

Ein Schritt vor und ein Schritt zurück – zu mehr ist die Regierung nicht in der Lage. Sie ist handlungsunfähig geworden. Bei beiden großen Reformprojekten, der Renten- und der Steuerreform, ist sie auf die Hilfe der SPD angewiesen, und sie will bis heute nicht richtig wahrhaben, daß Lafontaine seinen Laden im Griff hat. Die Strategie des SPD-Chefs geht auf: Da, wo er die Koalition am härtesten trifft – Steuer- und Sozialpolitik –, führt er sie vor, dort, wo er den Blockadevorwurf fürchtet – Innere Sicherheit –, geht er Hand in Hand mit Kanther und Stoiber. Das zermürbt die Koalition. Und Wolfgang Schäuble erweckt immer mehr den Eindruck, er gehe auf Distanz zu Helmut Kohl. Vielleicht kann er der Versuchung ja eines Tages doch nicht mehr widerstehen – ist das der letzte Hoffnungsschimmer für die Union? Jens König

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