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Mit der U-Bahn auf Tauchstation

■ „Tiefsee“: Hamburger Künstler unterm Meerespiegel der Stadt

In Hammerbrook scheinen die Straßen zu fließen. Stadtaus-, stadteinwärts rollt der Verkehrsstrom bei Tag und Nacht über den Asphalt. Zwischen den leerstehenden Bürowüsten ist selten ein Fußgänger zu sehen. Umso irritierter müssen die Autofahrer anfang August gewesen sein, als mitten auf einer der vielen Verkehrsinseln im mehrspurigen Heidenkampsweg (Richtung Neue Elbbrücken) eine Frau im hautfarbenen Bikini und Schwimmkappe in einer Badewanne plätscherte.

„Ich wollte einen unbekannten Raum betreten“, sagt die Hamburger Kunststudentin Plexaurella Dichitoma zu ihrer „Traffic-Jam“-Performance, „einen dieser vergessenen Orte, die es in jeder Stadt gibt. Für mich ist das „Tiefsee in den Städten“. Seit zwei Jahren arbeitet Dichitoma deshalb mit drei anderen Künstlern an dem Projekt „Tiefseeforschung“. In mehreren Städten wollen sie für kurze Zeit „Forschungsstationen“einrichten, die von den verschiedenen Besuchern als Plattform und „Informationsgenerator“genutzt werden können.

Unabhängig von spezifischen Fachgebieten, sollen die Orte für alle Formen der Auseinandersetzung mit dem Begriff Tiefsee offen sein.

In Hamburg eröffnet heute die erste „Forschungsstation“in der Sternschanze. Über drei Tage werden im Delicatessensalon in der Kampstraße 12 neben der Ausstellung von Arbeiten, eine Reihe von Performances, Lesungen und Filmvorführungen stattfinden. Ein wissenschaftlicher Beitrag, wie der Vortrag des Prof. Hjalmar Thiel vom Alfred-Wegener-Institut über Tiefsee-Umweltschutz soll dabei gleichberechtigt neben künstlerischen Arbeiten, wie Marianne Greves Klanginszenierung „Plank-Ton“, einer Komposition aus den Bewegungen einer Stachelbeerqualle über einem Notenblatt, stehen.

Auch der HVV hat sich auf Anfrage der Künstlergruppe hin an dem Projekt beteiligt und die Daten der sieben tiefsten Meeresgräben auf das U-Bahn-Netz umgerechnet. Die „Forscher“haben daraus einen neuen Tiefseeplan erstellt. Wer vom Hauptbahnhof, als Wasseroberfläche, bis nach Farmsen fährt, hat in etwa die selbe Strecke zurückgelegt, für die er bis zu dem 11.022 m tiefen Mariannengraben tauchen müßte.

Als „Gegenbewegung zur Hebungswut“, mit der Schiffe, wie die Titanic geborgen werden, soll im Anschluß an die Forschungsstation noch eine Versenkungsaktion stattfinden. Die Besucher können während der Ausstellungszeit einen persönlichen Gegenstand gegen einen kleinen Beitrag in einen Reisekoffer aus den 20er Jahren legen. Dieser wird auf dem Forschungsschiff „Polarstern“durch das antarktische Eismeer reisen und dort in die Tiefsee versenkt werden. Julia Lee

11. bis 13. Sept. von 18.30 bis 5 Uhr im Delicatessensalon in der Kampstraße 12, Eintritt: 5,- DM

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