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Statistiker freuen sich über zwei Tage

Das Bruttoinlandsprodukt ist um 2,9 Prozent im zweiten Quartal gestiegen. Deswegen und weil der Staat kaum noch investiert, konnte er das Defizit auf Euro-taugliche 3,1 Prozent drücken  ■ Von Ulrike Fokken

Berlin (taz) – Die deutschen Arbeitnehmer haben wieder in die Hände gespuckt und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gesteigert. Im zweiten Quartal 1997 haben sie das BIP um real 2,9 Prozent im Verhältnis zum gleichen Quartal des Vorjahres erhöht. In den ersten drei Monaten dieses Jahres war das BIP nur um 1,1 Prozent gestiegen. Der Staat hat in den ersten sechs Monaten 54,3 Milliarden Mark mehr ausgegeben, als er eingenommen hat. Das Staatsdefizit im Verhältnis zum BIP beträgt damit bislang 3,1 Prozent (1994: 3,4 Prozent). Finanzminister Theo Waigel ist mit diesem Wert so dicht wie noch nie an dem Defizitkriterium des Maastricht-Vertrages für die Einführung des Euro. Der Vertrag schreibt 3 Prozent vor.

Der große statistische Sprung hat rechnerische Ursachen. Da zwischen 1. April und 30. Juni die Arbeitnehmer zwei Tage mehr gearbeitet haben als in denselben Monaten 1996, haben sie statistisch gesehen drei Prozent mehr geschafft. Das Statistische Bundesamt rechnet diese drei Prozent Wertsteigerung in das BIP mit rund 0,3 Prozent ein. Zwischen Januar und März hatten die Werktätigen in Deutschland hingegen 3,3 Tage weniger gearbeitet als im Jahr zuvor. Das schlug sich nach Meinung der Statistiker auf das BIP nieder, so daß es bei dem „mickrigen Ergebnis“ von 1,1 Prozent Wachstum, wie ein Bundesbanker damals sagte, blieb. „So etwas hat es in den letzten zehn Jahren nicht gegeben“, sagte ein Sprecher des Bundesamtes gestern. Von dem Ergebnis der statistisch ungleich verteilten Arbeitstage kann man daher nicht auf das BIP des Gesamtjahres schließen. Die jüngste Statistik des Bundesamtes ist nicht so rosig für die Bundesregierung, wie sie angesichts des Defizitkriteriums scheint. Denn der Staat hat zur Wertschöpfung mit null Prozent beigetragen. In Ausrüstungen und Bauten – die die Konjunktur ankurbeln – investierte der Staat 4,4 Prozent weniger. Das Defizit in den öffentlichen Kassen ist nur deshalb einigermaßen niedrig, weil die Bundesregierung fünf Prozent mehr Sozialbeiträge eingenommen hat. Das für den Haushalt maßgebliche Steueraufkommen ist um 1,1 Prozent gesunken.

Das BIP gesteigert haben wieder nur die produzierenden und handelnden Unternehmen und ihre Arbeitnehmer. An der Konjunktur und somit am BIP gekurbelt hat insbesondere die Exportwirtschaft. Im Portemonnaie behalten jedoch nur Unternehmer etwas von den umgesetzten Milliarden. Die nicht selbständig Arbeitenden konnten ihr Einkommen nur um 0,7 Prozent steigern. Unternehmer steigerten ihr Vermögen um 10,5 Prozent.

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