: Was hält einen noch in Berlin?
■ Wie viele Bekannte leben noch in Berlin? Wie viele Freunde sind im Umland oder in Westdeutschland gelandet? Wohin soll man mit den Kindern? Eine Motivforschung
Tut Berlin wirklich noch gut, wie es ein Werbeslogan der achtziger Jahre verhieß? Oder törnt die Stadt nur noch ab? Vor allem aber: Was hält einen noch hier? Ist es der Kiez mit seinen bekannten Ecken, Lokalen und Einkaufsgelegenheiten, oder sind es die sozialen Bindungen, die Freunde oder die Kumpels aus dem Fußballverein? Kann man in einem Berlin, das an vielen Stellen aufgerissen ist und sichtbar noch für viele Jahre im Umbau begriffen, überhaupt noch Wurzeln schlagen?
Der heute fünfunddreißigjährige Hannes K. wohnt seit 1993 in Berlin, zunächst in Wilmersdorf, später in Kreuzberg 61. Mit Freundin und Tochter (1) wohnt er in einer Wohngemeinschaft. Als er nach Berlin kam, sagt er, wären die alten sozialen Strukturen bereits in Auflösung begriffen gewesen. Obwohl er merkt, wie anstrengend es ist, in Berlin noch Wurzeln zu schlagen, will er im Kiez an der Graefestraße bleiben.
Das Umland oder der Stadtrand kommen für Hannes K. nicht in Frage, zumindest nicht als Wohnort. Manchmal hat er das Gefühl, bald der letzte in der Stadt zu sein. Viele Freunde und Bekannte sind weggezogen oder haben es vor: nach Indien, nach Kassel. Berlin nach der Wende, sagt er, kotzt viele an.
Auch für die zweiundvierzigjährige Conny K. gilt dies. Seit 1980 wohnt sie in der Stadt, hat in dieser Zeit die Hausbesetzerzeit erlebt und die autonome Bewegung. Doch das, was die Stadt in dieser Zeit ausgemacht habe, existiere nun nicht mehr. Die Stadt sei zu laut, zu aggressiv und habe außerdem zuwenig Lebensqualität, sagt sie.
Viele ihrer Bekannten sind weg, in Rahnsdorf, in Erkner, in Hohen Neuendorf. Es gibt eine Sehnsucht nach einer sozialen Struktur, resümiert sie die Entwicklung. Doch diese Struktur findet sich nicht mehr im Stadtteil, sondern in der Familie, im Haus im Grünen. Wenn sie rauszöge, dann ins Umland, glaubt Conny K. Der Berliner Stadtrand käme für sie nicht in Frage.
Bernhard P. (33) ist gebürtiger Berliner. Wegen eines Jobs hat er bereits einmal die Stadt verlassen. Nun ist er wieder in Berlin. Wegen eines Jobs. Viele seiner Freunde sind dagegen weg: in Schweden, in Indien, in Chile. Ausgewandert. Das Umland war ihnen zu nahe an Berlin.
Fast schon anhänglich gegenüber der Stadt ist die ehemalige AbiturientInnenklasse von Corinna B. (21). Zwar seien einige weg, aber nur für ein oder zwei Jahre. Die meisten, sagt sie, wollen in Berlin bleiben. Wegen eines Jobs würde sie die Stadt zwar verlassen, aber nicht überall hingehen. Hamburg könnte sie sich vorstellen.
Die gebürtige Bolivianerin Nancy Krüger (40) kann sich dagegen nur die Karibik vorstellen. Bis es so weit sein wird, bleibt sie mit ihrer Familie in Berlin. In Kreuzberg 61.
Ganz anders Jens K. (33). Der gebürtige Ostberliner hat gerade erst mit seiner Familie eine neue Wohnung in Prenzlauer Berg bezogen. Die meisten seiner Bekannten sind noch in Berlin. Vielleicht, vermutet er, weil Ostberlin viel gewachsener sei als der Westteil der Stadt.
Selbst diejenigen, die aus Thüringen oder Mecklenburg in die Hauptstadt der DDR zogen, hätten als Berliner eine ganz andere Bindung an die Stadt. Ohne Datsche kann sich freilich auch Jens K. das Stadtleben nicht vorstellen, vor allem wegen der Kinder. Wenn er einmal aus dem Prenzlauer Berg wegziehen wollte, dann vielleicht nach Pankow. Seine Freundin, sagt der Ostberliner, zöge es in diesem Falle freilich gleich richtig aufs Land. Was den Osten vom Westen auch unterscheide, glaubt er, sei der finanzielle Aspekt. Die meisten Westler seien jetzt Teil der Erbengeneration. Die könnten sich eher ein Haus im Grünen leisten als die Ostler.
Einige Wurzeln hat, obwohl aus dem Westen kommend, Christian F. (33) geschlagen. 1988 kam er von München nach Berlin. Kurze Zeit später, sagt er, seien viele seiner Bekannten nachgezogen. Die meisten sind noch hier. Außer zwei, die hätten der Hauptstadt wegen eines Jobs den Rücken gekehrt.
Wenn er Berlin einmal verlassen würde, dann wegen einer anderen festen Stelle, meint Christian F. Das Umland kommt für ihn nicht in Frage. Es sei denn, er würde einmal Kinder haben. Er finde es, sagt er, immer traurig, wenn Leute erzählten, daß sie ihre Kinder in der Stadt großzögen. Uwe Rada
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