: Im Namen des Volkes
■ Die Welle der Bußfertigkeit bei Britanniens Presse ist schon wieder vorbei. Nun dominiert Angst vor neuen Pressegesetzen
Dublin (taz) – Es wird nie mehr so sein, wie es mal war, sagte der britische Premierminister Blair vorigen Sonntag, und er meinte damit die Medien. Nach Prinzessin Dianas Tod müsse ein neuer, strikterer Verhaltenskodex her. Blair sprach der Nation, die die Schlüssellochfotografen in Sachen Diana längst zum Sündenbock gemacht hatte, aus der Seele. Und der Szenenapplaus, den Dianas Bruder Charles Spencer erhielt, als er die Presse attackierte, hallte in der Fleet Street noch eine Weile nach. Chefredakteure, Reporter und Fotografen riefen „mea culpa“ im Chor und gelobten Besserung.
Nun ist Diana unter der Erde, und man beginnt die Sache etwas differenzierter zu betrachten. „Was wollt ihr denn“, so der Tenor vieler Blätter, „ihr kauft die Zeitungen doch gerade wegen der Fotos, die heimlich und mit langem Objektiv geschossen wurden.“ Der Guardian-Kolumnist Roy Greenslade sagt, daß die Medien zwar Stars kreieren können, aber deren Status nicht über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten, wenn die Öffentlichkeit desinteressiert oder gar feindselig ist. Diana hatte das Zeug zur Ikone, weil sie „nicht nur schön, sondern auch royal“ war, schreibt Greenslade. Und Ikonen seien nun mal immun gegen die Launen der Öffentlichkeit.
Die unscharfen Fotos von Diana und Dodi beim Badeurlaub im Mittelmeer wurden nicht nur von den Boulevardblättern abgedruckt, sondern von sämtlichen „seriösen“ Zeitungen ebenfalls – dort freilich mit erhobenem Zeigefinger, eingekleidet in eine Geschichte über das Eindringen der Boulevardpresse in die Privatsphäre. „Wir stecken mitten in einem völlig unpassenden Ausbruch globaler Heuchelei“, schreibt Andrew Neil, Chefredakteur des Scotsman und des European.
Er verteidigt die Schnüffelei in Dianas Privatleben: Wenn die Mutter des Thronfolgers mit dem Sohn des umstrittensten Geschäftsmannes weit und breit anbandele, der dazu beigetragen habe, die letzte Tory-Regierung zu stürzen, dann sei das jeder Zeitung einen Artikel wert. Nur habe die „seriöse“ Presse das Thema verfehlt, meint Neil, indem sie auf die Boulevardblätter einschlägt.
Zwischen Charles Moore, dem Chefredakteur des „seriösen“ Tory-Blattes Daily Telegraph, und seinem Kollegen bei der kleinformatigen Daily Mail, David English, ist geradezu ein Privatkrieg ausgebrochen. Die Daily Mail, so behauptet Moore, habe „auf höchst widerliche Weise ihre Nase in das Privatleben und in die Trauer der königlichen Familie“ gesteckt. Und das im Namen des Volkes, fügte er hinzu – „wie die Geheimpolizei in den kommunistischen Ländern, die sich auch immer auf das Volk berufen“ habe. David English kontert: „Wenn ich Zyniker wäre, würde ich sagen, das ist wieder eine dieser kommerziellen Varianten königlicher Berichterstattung.“
Einig ist sich die Presse jedoch, daß etwas geschehen muß – und sei es nur, weil „die Politiker, die oft ihren eigenen Groll gegen die Medien hegen, es sonst für uns tun“, warnt Andrew Neil. Die Veränderungen, so meint er, dürften aber keineswegs der „gegen die Presse gerichteten Lynchmob-Mentalität nachgeben“. Man sehe ja, was in Frankreich passiert ist: Die striktesten europäischen Gesetze zum Schutz der Privatsphäre haben nicht verhindert, daß Diana in Paris gejagt worden sei, sie haben aber dafür gesorgt, daß der investigative Journalismus in Frankreich auf der Strecke geblieben sei. Die französische Presse sei das Schoßhündchen des politischen Establishments, sagt Neil.
In Großbritannien setzt man weiter auf die Selbstregulierung. Lord Wakeham, der Vorsitzende der Pressebeschwerdestelle, will den Schutz der beiden Diana-Söhne über deren 16. Geburtstag hinaus ausdehnen. Sie sollen nun erst nach Ende ihres Studiums zum Abschuß freigegeben werden. Diese neue Regel gelte auch für Normalsterbliche, betonte Wakeham, ohne zu sagen, welchen Normalsterblichen die Paparazzi denn auflauern sollten. Da es sich um eine freiwillige Übereinkunft handle, könne man keine Geldbußen verhängen. Die Sünder müssen lediglich das Urteil der Beschwerdestelle abdrucken. Wakeham ist auch gegen Gesetze zum Schutz der Privatsphäre, weil „normale Menschen es sich ohnehin nicht leisten können, Zeitungen vor Gericht zu bringen“.
Charles Moore glaubt denn auch nicht, daß die selbstauferlegte Zurückhaltung lange andauern wird. „Die Boulevardpresse ist ein lukrativer Markt für Paparazzi“, sagt er, „und die werden sich nur für eine kleine Weile von den beiden Prinzen fernhalten.“ Ralf Sotscheck
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