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Schöne Show

■ Kantinengespräche: "Schlingensief - Talk 2000" (Sonntag, 0 Uhr, RTL)

Und plötzlich macht es sogar piep auf Kanal 4, dem sonntagabendlichen RTL-Kulturfenster, erklingt jener Selbstzensurpiepton, der einem ansonsten nur in den MTVideoclipwelten begegnet, wenn die four letter words irgendeines Gangsta Rappers mal wieder zu explicit werden.

In „Schlingensief – Talk 2000“ indes darf Master Christoph Schlingensief unbehelligt „Fotze, Möse und Schwanz“ in den Mund nehmen. Nur wenn er – wie selbst der unbegnadetste Lippenleser erkennen wird – das four letter word „Kohl“ in die Kamera sagt, piept's. Denn der Kontext ist es, der das Wort sakrosanktioniert. Und der Kontext bei Schlingensief, dessen derzeitiger Lieblingssatz ihm erst jüngst auf der documenta eine Festnahme einbrachte, heißt: „Tötet Helmut piep!“

„Schocker“ nennt ihn deshalb die B.Z.; „Allergiker“ nennt der Spiegel den „netten jungen Mann“; „den Erben der Guldenburgs“ nennt ihn verschwiemelt die SZ; die Zeit nennt ihn bewährt dialektisch „einen infantilen Scharlatan oder genialen Avantgardisten“, und er selbst nennt sich gern „Apothekerssohn“. Anfang Juli hatte der Apothekerssohn mitten in die Kantine der Berliner Volksbühne sein abgewetztes Chesterfieldsofa gestellt, etwas Publikum und überaus illustre Prominente geladen und lustig Talkshow gespielt.

Doch so improvisiert die dabei entstandenen acht (leider auf 30 Sendeminuten zusammengekürzten) sessions daherkommen, so wohlüberlegt scheint die Konzeption. Die nimmermüde Beteuerung jedenfalls, er mache seine Talkshow erstens „für die sechs Millionen Arbeitslosen da draußen“ und zweitens, um zu zeigen, „daß jeder in Deutschland Talkmaster sein kann“, klingt ganz schön nach ehrenwertem Brutus. Oder, um es doch mit Schlingensief selbst zu sagen: „Es ist einfach die Frage: Wann stimmt was?“ Ist die bloße Mißachtung der vom Fernsehen selbst gebastelten Talkmaster-Tabus tatsächlich schon infam? Ist also Obszöne-Wörter- Aussprechen, Weghören, Von- sich-selbst-Erzählen, Gespräche- verebben-Lassen, Über-Einschaltquoten-Reden, Schweigen, Willkürlich-das-Thema-Wechseln, Einfach-aufstehen-und-Gehen, Sich-mit-den-Gästen-Prügeln, Requisiten-Zertrümmern, „Das ist doch jetzt gelogen“-sagen-und-Lügen – ist das noch fernsehkritisch oder schon Anarchie?

Selbstverständlich ist Schlingensiefs „Talk 2000“ keine Talkshow, sondern eine echte Schlingensief- Performance: nicht geschmacklos, nicht einmal geschmacklos wie die tägliche Fliege am Mittag, sondern dezidiert „geschmacklos“ – nicht oberflächlich, sondern bloß Oberfläche. Doch zugleich ist „Talk 2000“ Talkshow at its best. Nicht nur dürfen wir am Bildschirm zahllose Anekdoten und Einmaligkeiten miterleben, nein, wir müssen beim Zuschauen auch mitansehen, was wir nie wahrhaben wollten: daß sich beispielsweise Harald Schmidt bei jeder echten Herausforderung opportunistisch hinter (gelungenen!) Pointen verschanzt; daß die Knef ihren garboschen Artikeltitel wirklich verdient; daß für eine Lilo Wanders der Spaß dort aufhört, wo die Moral beginnt; daß Rolf Eden wahrscheinlich nicht minder durchgeknallt ist als die halbverrückten Komparsen aus Schlingensiefs Aservatenkammer, die sich mal als Heiner Müller, mal als Pförtner Oblomov oder Deutschlands ältester Bodybuilder ins Geschehen schleichen.

In jeder seiner „Talks 2000“ gelingt Schlingensief, was selbst einem Giovanni di Lorenzo, einer Juliane Bartels oder „Willemsens Woche“ nur selten und am ehesten wohl beim gegenwärtigen Beerdigungs-Rush gelingt: daß Fernsehen wieder Ereignis wird.

„Ist 'ne schöne Show“, sagt Rolf Eden in Folge 5. Er ist zu diesem Zeitpunkt der einzige, der noch ein halbwegs intaktes Mikro in der Hand hält. Christoph Schultheis

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