Schuld waren nicht die Biolebensmittel

■ Bakterienerkrankung bei niedersächsischen Kindern geht vermutlich auf verunreinigte Milch zurück. Ministerin Griefahn sieht Kampagne gegen Biokost

Hannover (taz) – Mediziner wie Öffentlichkeit beschäftigt in Niedersachsen ein Durchfallerreger, der bei Kindern schwere Komplikationen bis hin zum tödlichen Nierenversagen verursachen kann. Auf das Bakterium, mit dem Namen „Enterohämorrhagische Escherichia coli“ oder abgekürzt Ehec, wurden in der vergangenen Woche 2.000 Kinder aus 22 niedersächsischen Kindergärten untersucht. Nachdem in Niedersachsen zwei Kinder an den Folgen der Durchfallerkrankung gestorben waren, hatte der Spiegel den „Trend zur Biokost“ für die „Seuche“ verantwortlich gemacht.

Die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn sprach jetzt im Zusammenhang mit Ehec von einer „gesteuerten Kampagne gegen Biolebensmittel“, wobei sie das steuernde Zentrum offenbar im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium vermutete.

Bei den Ehec-Bakterien handelt es sich nach Angaben des niedersächsischen Landesgesundheitsamtes um eine 1983 zum erstenmal beschriebene Bakterien- Gruppe, die ein Gift produziert, das dem der Ruhr-Erreger ähnlich ist. Die Erkrankung, die der Ehec- Erreger auslösen kann, wird in der Regel als normaler Durchfall angesehen. Nach Schätzung des niedersächsischen Landesgesundheitsamtes kommt es bei Kindern in fünf bis zehn Prozent der Erkrankungsfälle zu einem lebensbedrohlichen Nierenversagen. Nach der amtlichen Statistik erlitten in Niedersachsen im Jahre 1995 zehn Kinder, im Jahre 1996 vierzehn Kinder und 1997 bereits 22 Kinder dieses Nierenversagen. Auch durch Dialyse konnten die beiden Kinder nicht mehr gerettet werden, die in Niedersachsen in diesem Jahr Ehec-Erkrankungen zum Opfer fielen.

Nach Angaben des niedersächsischen Sozialministeriums ist es bisher unter den Experten noch strittig, ob der Anstieg der diagnostizierte Ehec-Erkrankungen auf eine Ausbreitung der Krankheit zurückgeht oder einer vermehrten gezielten Suche nach dem Erreger geschuldet ist.

Übertragen wird die Krankheit durch Verunreinigungen in Lebensmitteln, wenn diese ungekocht verzehrt werden, und durch Schmierinfektionen von Mensch zu Mensch, die auf mangelnde Toilettenhygiene zurückgehen. Da vor allem Rinder, ohne selbst zu erkranken, häufig Ehec-Erreger in sich tragen, hat das niedersächsische Gesundheitsamt kürzlich vor dem Trinken von nicht pasteurisierter Milch gewarnt. Der Vertrieb unpasteurisierter Vorzugsmilch sei nur Landwirten gestattet, deren Milchviehbestände frei von dem Ehec-Erreger seien.

Die Kindergärten der 2.000 Kleinen, die jetzt in Niedersachsen untersucht wurden, hatten Vorzugsmilch von einer ostfriesischen Molkerei bezogen, die vorschriftswidrig von einem Ehec-infizierten Bestand beliefert worden war. Um einen Biobauern hat es sich bei diesem Lieferanten allerdings nicht gehandelt. Jürgen Voges