■ Querspalte
: Berlin, mein Berlin

Berlin ist im Herbst ganz wunderbar. Vielfältig, sozusagen urban, metro- und auch kosmopolitisch. Interessant ist auch der hauptstädtische „Diskurs“, also das, was man so daherredet als stolzer Hauptstadtbewohner. Lieblingsthemen dieses Diskurses: Hertha und die Verkehrsbetriebe (BVG) in unendlichen Varianten. Beides Themen, die durchaus dies und das miteinander zu tun haben. Denn Berlin ist ja bekanntlich nicht nur die „Hauptstadt der Gefühle“, sondern eben auch die Hauptstadt der Loser, Lebenstrottel und Versager. Mag man zwar nicht so gern hören, ist aber so. Die Berliner, allesamt nichtsnutzige Alkoholiker, arbeitslose Haschdeppen, Yuppies, die andernorts grad als Penner durchgehen würden, Politiker, die man in Bad Segeberg auslachen täte. Weil das so ist, lebt man ja hier und nicht in Düsseldorf.

Deshalb wächst einem Hertha auch mit jeder Niederlage mehr ans Herz. Es lebe das Ungeschick! Schön sind die Verlierer.

Auch der jüngste hauptstädtische Diskurs ist ganz besonders charmant. In der BVG erwägt man, die U-Bahn aus Gründen der Ersparnis um 21 Uhr zu schließen. Ganz toll. Man stellt sich die Slogans vor, mit denen das dann „verkauft“ werden wird: „Berlin – eine ausgeschlafene Metropole“. Wird sich bestimmt auch „rechnen“. Auch sonst gibt sich die BVG sehr modern. Der Preis für eine Einzelfahrt liegt bei 3,60 Mark, es gibt einen BVG- Club mit „Hotline“ und vielfältigen Freizeitangeboten, wer einen Jahresabonnenten für die BVG wirbt, bekommt einen „Octopus-Schlüsselanhänger (sehr exclusiv)“ geschenkt, und der „freundlichste Busfahrer“ wurde im BVG-Magazin BVG Plus, einer Art Bäckerblume für den Nahverkehr, vorgestellt.

Vor einem Jahr hatte die BVG auch Zwei-Wochen-Benimm-Kurse für ihre Angestellten eingerichtet. Einem Kursteilnehmer, der sich auch danach weigerte, bei der Zugabfertigung „bitte“ zu sagen, wurde gekündigt. Später wurde er in Eckkneipen wegen vorbildlicher Renitenz gefeiert. Auch deshalb gefällt mir Berlin so gut. Detlef Kuhlbrodt