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Im Schmetterlingsflug

■ Man redet nicht, man raucht: Wong Kar-Wais schwule Love-Story "Happy Together" spielt im Argentinien der Bars, des Fußballs und der blendenden Sonne

Sex, Soap-operas und Flower- power in drei Minuten – „Happy Together“ ist eine reizende Beziehungsarie. Die Turtles hatten damit 1967 ihren einen Hit, Frank Zappa hat den Song 1971 heftig parodiert. Bei Wong Kar-Wai schwirrt die Schnulze zwischen den Bildern herum und verbindet damit liebevoll Szenen, in denen sich die beiden Hauptakteure streiten oder abküssen. Irgendwann summt man die leichte Melodie selbst mit, so wie zuvor „California dreaming“ oder „What a difference a day makes“ in früheren Filmen von Wong Kar-Wai.

Ein Lied für Fans, ein Film für unglücklich Verliebte. Weil er keine Lust mehr hatte, „immer wieder Fragen über die Zukunft Hongkongs zu beantworten“, hat Wong Kar-Wai die Geschichte nach Argentinien verlagert. Daß sich „Happy Together“ doch zu einem Drama am Rande der Migration entwickelt, liegt vermutlich am Thema: Zwei junge Schwule aus Hongkong versuchen ihre Gefühle ein wenig aufzufrischen und gehen auf Reisen. Das Ziel sind die Wasserfälle von Iguaçu – ein magischer Ort, wie ein quadratischer Schlund. Unterwegs sieht man sie ineinander verkeilt auf Hotelbetten herumrackern oder im Auto rauchen. Schließlich steht der Wagen mit einer Panne am Straßenrand, die neu entflammte Leidenschaft sieht nur mehr nach einem Nouvelle-Vague-Zitat aus und ist rasch verbraucht. Lai Yiu-Fai (Tony Leung) findet einen Job als Türsteher einer Tangobar in Buenos Aires, Ho Po-Wing läßt sich als hübscher, feingesichtiger Asiate (der Hauptdarsteller Leslie Cheung nun einmal ist) von europäischen Freiern aushalten.

Ab und zu läuft man sich noch in Nachtclubs über den Weg, und schrickt voreinander zurück, wenn nicht gerade ein Mantelkragen die Gesichter verdeckt oder sich wild gestikulierende Argentinier ins Bild schieben. Die flüchtigen Blicke von Lai und Ho, die Fremde, das alles spiegelt sich in den Schwenks der Kamera wider, die unstet durch Buenos Aires flattert, als hätte Wong Kar-Wai im Schmetterlingsflug die Stadt fotografiert. Erst als Ho mit aufgeschlitzten Händen zurück zu seinem Lover kehrt, wird das Tempo etwas ruhiger. Man redet wenig, man raucht – dafür aber Kette. Fürsorglich schiebt Lai seinem Geliebten stangenweise Zigaretten zu, behält jedoch den Reisepaß, womit die Abhängigkeit besiegelt ist. Ho akzeptiert die kleine Bestrafung, er lächelt und lümmelt sich fortan auf dem Sofa herum.

So sehr die Liebe auf der Stelle tritt, so schwer und melancholisch wirken auch die Bilder. Gemeinschaftsküchen werden zur trostlosen Tanzfläche, auf der die beiden ein letztes Mal übereinander herfallen; draußen erscheinen öffentliche Toiletten als gekacheltes Stillleben, während eine schmierige Männerstimme brummelt: „I have been in you, and you have been in me“; Transvestiten wippen obsessiv mit Straß-Colliers, und es gibt doch noch Sex im Kino auf französisch. Später lernt Lai die nette und gut gebaute Küchenhilfe Chang kennen (Chang Chen hat früher als Model für Yamamoto gearbeitet). Es kommt zu vielerlei Andeutungen, denn eigentlich ist Chang hinter Mädchen her. Also bleibt es bei gemeinsamen Saufgelagen und der Erinnerung an daheim. Irgendwann fährt Lai doch noch an nach Iguaçu, während Freund Ho unter Tränen die Wohnung putzt.Aufdringlich ist das nicht, nicht einmal kitschig. Eher schon funktioniert „Happy Together“ als schillernde Bildfolge: Szenen einer seltsam aufrichtigen Liebesgeschichte, in der die Partner sich allein in ihren Rollen gegenseitig ertragen können. Immer wieder hält Wong Kar-Wai an solchen Motiven der Durchdringung im Stillstand fest, etwa wenn die beiden an einem Wintermorgen eine trostlose Brücke langmarschieren, nur um kurz zu zanken und auf halber Strecke unzufrieden, aber frierend umzukehren.

Dann wieder löst sich alles in gleißendem Licht auf: Lai trifft ein paar Jungs auf der Straße zum Fußballspielen, Beine rennen durcheinander, die Kamera immer dem Ball hinterher. Plötzlich kehrt der Regisseur dem Spiel einfach den Rücken und filmt ausgelassen in die Sonne. Dann sieht man nichts mehr, und erst allmählich fängt sich die Kamerafahrt auf dem verschwitzten Gesicht von Lai wieder ein. Es ist erstaunlich, wie einprägsam Wong Kar-Wai solche Momente zwischen himmelhohem Jauchzen und tiefer Betrübnis erzählen kann. Daß sich die beiden am Ende doch nicht kriegen, mag an den Kompliziertheiten der Liebe liegen. Der Film kann nichts dafür. Harald Fricke

„Happy Together“. Regie: Wong Kar-Wai; mit Tony Leung, Leslie Cheung u.a., HK 1997, 93 Min.

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