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Garzweiler II, das umstrittene Braunkohletagebauprojekt, ist laut einer Studie des Wuppertal Instituts verzichtbar. Nicht nur verstoße es gegen die selbstgesteckten Umweltschutzziele der Regierung. Auch ökonomisch rechne sich Garzweiler II

Garzweiler II, das umstrittene Braunkohletagebauprojekt, ist laut einer Studie des Wuppertal Instituts verzichtbar. Nicht nur verstoße es gegen die selbstgesteckten Umweltschutzziele der Regierung. Auch ökonomisch rechne sich Garzweiler II nicht.

Nur Verschwender brauchen mehr Kohle

Die ersten Meldungen über die brisante neue Garzweiler-Studie des landeseigenen Wuppertaler Klimainstituts waren am Wochenende kaum in den Nachrichtensendungen gelaufen, da schlug Kölns Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes zurück. Laut und polemisch sprach der glühende Anhänger des geplanten Braunkohletagebauprojekts Garzweiler II im WDR der ganzen Studie jede Seriosität ab. Sie stimme „vorne und hinten nicht“ und verbreite „kalten Kaffee“ (s. Interview).

Tatsächlich sind die von den Wuppertaler Forschern präsentierten Argumente in der von ihnen selbst als „Gedankenskizze“ bezeichneten Studie gegen das vom Essener RWE-Konzern betriebene Braunkohleprojekt Garzweiler II so gewichtig, daß es den Befürwortern schwerfallen dürfte, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Zumal die Wuppertaler mit ihrer Kritik nicht alleinestehen. So hat das Consulting-Unternehmen der Dresdner Bank, Kleinwort- Benson-Research, erst vor wenigen Wochen dem RWE-Konzern bescheinigt, daß dessen Braunkohlestrategie ökonomisch nicht aufgehen könne und davon abgeraten, RWE-Aktien zu kaufen.

Klar ist für die Wuppertaler Klimaforscher, daß „ein vollständiger Aufschluß von Garzweiler II in keinem Fall kompatibel mit dem Klimaschutzziel der Bundesregierung und den mittel- und langfristigen C02-Reduktionsempfehlungen der Enquete-Kommission ist“. Darüber hinaus empfehlen sie RWE aber auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen, die eigene Strategie gründlich zu überdenken: „Sowohl die Erschließung als auch der Verzicht auf Garzweiler II sind in betriebs- und energiewirtschaftlicher Hinsicht – vor dem Hintergrund zunehmenden Wettbewerbs in der Stromwirtschaft – mit neuen Unwägbarkeiten und finanziellen Risiken verbunden.“ Deshalb spreche alles dafür, „bei Kraftwerksplanungen in Verbindung mit Garzweiler II ein Höchstmaß an Flexibilität (...) und Rückholbarkeit zugrundezulegen. Von daher erscheint es auch geboten, noch einmal über eine Null- oder Teil-Option (kein Aufschluß oder nur teilweiser Aufschluß von Garzweiler II) im Lichte der neueren Entwicklung nachzudenken.“

Wesentliche Grundannahmen des Projektes, wie etwa die Entwicklung des Wirtschaftswachstums, haben sich nach Auffassung der Wuppertaler Forscher – die ihre „Gedankenskizze“ ohne Auftraggeber auf eigene Rechnung erstellt haben – entscheidend verändert. So seien die bisherigen Prognosen, die mittelfristig von einem Wirtschaftswachstum zwischen 2,3 und 2,4 Prozent ausgingen (Prognos 95), „vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen als nicht mehr realistisch einzuschätzen. Die vorliegenden neueren Prognosen (...) legen vielmehr nahe, von einem erheblich geringeren Wirtschaftswachstum auszugehen. In Übereinstimmung mit diesen neueren Prognosen können durchschnittliche Wachstumsraten von mittelfristig 1,5 bis 1,8 Prozent und langfristig von 1,6 Prozent pro Jahr erwartet werden.“

Beim Alternativmodell profitiert die Umwelt

Für die Stromnachfrage ergeben sich daraus nach Ansicht der Autoren „sehr bedeutsame“ Konsequenzen. Während RWE eine Ausweitung der Stromerzeugung aus Braunkohle von 68,5 TWh in 1995 um rund 30 Prozent auf 88,5 TWh in 2030 erwartet und entsprechend plant, rechnet das Wuppertaler Institut für das Jahr 2030 mit einem Absatz von etwa 66,7 TWh.

Ohne Garzweiler II stünden aus den genehmigten Tagebauen des Rheinlands rund 55,1 TWh zur Verfügung. Die Lichter drohen deshalb in Deutschland gleichwohl nicht auszugehen. Die Autoren zeigen ein Alternativinvestitionsprogramm – industrielle Kraft- Wärme-Kopplung, Stromeinsparung, Ausbau erneuerbarer Energien – auf, das deutlich macht, daß die Versorgung „auch ohne Garzweiler II langfristig gesichert werden kann“. Würde man diesen Vorschlag umsetzen, profitierte davon vor allem die Umwelt.

Würde RWE die für den Aufschluß von Garzweiler II vorgesehenen Investitionsmittel in das Alternativprogramm stecken, fiele auch die Arbeitsplatzbilanz positiv aus. Die jetzigen Planungen des RWE-Konzerns sehen ein Kraftwerkserneuerungsprogramm für die Braunkohleverstromung vor, das bis zum Jahr 2030 die Arbeitsplätze in der rheinischen Braunkohlewirtschaft von jetzt 21.000 auf rund 11.500 beinahe halbieren würde. Ohne Garzweiler II würden zwischen den Jahren 2000 und 2020 im rheinischen Revier zwar „im Mittel etwa 3.000 Arbeitsplätze“ wegfallen. Aber durch das alternative Investitionsprogramm entstünden zusätzliche Arbeitsplätze, die die Beschäftigungsverluste nach Ansicht der Autoren „signifikant übersteigen“.

Jetzt, so das Fazit der Studie, seien auf jeden Fall „Detailuntersuchungen notwendig“, um überhaupt „für die Zukunft langfristig tragbare Entscheidungen treffen zu können“. Genau eine solche Überprüfung hatte der langjährige Vizevorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen, Christoph Zöpel, Mitte Juli schon in der taz gefordert. Er würde es für „gut halten“, so Zöpel, wenn die Landesregierung die Erhebung der Datenbasis noch vor Genehmigung des Rahmenbetriebsplans vornähme. Bisher hat sich NRW-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) diesem Ansinnen immer schroff verweigert. Seiner Ansicht nach ist der Rahmenbetriebsplan schon 1997 genehmigungsreif.

Wobei auch Clement schon öffentlich eingeräumt hat, daß die prinzipielle „Rückholbarheit“ des Projektes von dieser Genehmigung nicht tangiert wird: „Für den Fall, daß sich der Energiebedarf aufgrund von Sparmaßnahmen, Effizienzsteigerung und neuen Energiequellen tatsächlich gravierend ändert“, so Clements Versprechen am Anfang der rot-grünen Koalition 1995, müsse man über das Projekt „in eine andere Bewertung eintreten“. Zumindest auf der Prognoseebene ist der Ernstfall nun da. Walter Jakobs

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