piwik no script img

■ StandbildDeutsche Kindheitsdramen

„Grünschnäbel“, So., 23.05 Uhr, ZDF

Ich selbst wollte ja Chris Roberts werden, wenn ich groß bin. Heute wäre ich wohl viel lieber Chris Schlingensief geworden. Und im kleinen Fernsehspiel „Grünschnäbel“ (Untertitel: „Sieben Kinder, die schon wissen, was sie werden wollen“) wußten sieben Kinder zwischen acht und 13 Jahren, genau wie ich damals, was sie werden wollen. Und Nachwuchsdokumentarist Calle Overweg filmte sie dabei.

Overweg hatte für seinen DFFB-Abschlußfilm die Hausaufgaben gemacht und zeigte die kindlichen Ehrgeizklassiker wie Opernsängerin, Tänzerin, Rennfahrer und Model bunt gemischt mit kindisch Abseitigem wie Wrestling-Reporter und Steinesammler sowie – außer Konkurrenz – irgendeine Jenny aus einem „Piep piep piep, wir ham uns alle lieb“-Elternhaus, die sich zur Pfarrerin berufen glaubt. Das allein jedoch ist noch kein hinreichender Anlaß für ein fast zweistündiges Einfühlsam-Draufhalten, das Overweg selbst (viel zu) vielversprechend „eine Sammlung archetypischer Kindheitsdramen“ nennt. Ohne erkennbare Arbeitsthese zeigte „Grünschnäbel“ letztlich tatsächlich nur sieben Grünschnäbel; Einzelporträts von Kindern, die eben noch keinen Unterschied kennen zwischen Hobby und Berufswunsch.

Doch je länger man Kindern und Eltern beim Berufewünschen zusah, desto mehr geriet die bekundete dokumentaristische Zielsetzung aus dem Blick, desto deutlicher trat dafür die eigentliche, wenngleich unfreiwillige Quintessenz des Filmes zutage, und man sah nur noch eines über den Bildschirm flimmern: unser Deutschland – den reinen, ganz alltäglichen Kleinbürger- und Kernfamilienhorror.

In der letzten halben Stunde – derweil Ronni, der Rennfahrer, mal im Go-Cart, mal in Trainers VW Golf seine Runden drehte, derweil die kleine Tänzerin Dominique mit ihren Geschwistern Pizza buk und Lolitachen Stefanie vor der heimischen Eiche- Rustikal-Schrankwand Laufsteg übte – wurde es dann doch noch hoch erfreulich. Zu dieser Zeit nämlich zeigte Kanal 4 auf RTL die zweite Folge von Christoph Schlingensiefs achtteiliger Ausnahmetalkshow „Talk 2000“, auf die hier noch einmal vehement hingewiesen werden soll. Zwar ging es auch dort (wie immer eigentlich) ausschließlich um den kleinen Horrorladen Deutschland. Aber das wenigstens originell, urteilssicher und mutwillig. Christoph Schultheis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen