Das Portrait: Ungebetene Kommunistin
■ Michelle Demessine
Vor einer Woche noch war Michelle Demessine für die meisten Franzosen eine Unbekannte. Selbst in der Kommunistischen Partei, in der sie sich als Gewerkschafterin, Mitglied der betulichen „Union der französischen Frauen“ und mit harten Anti- Drogen-Parolen hochgeboxt hat, war die Fünfzigjährige vor allem ihren Freunden aus dem heimatlichen Norden ein Begriff. Für die übrigen Genossen war die Ministerin für Tourismus bloß ein Mitglied der „Clique um Hue“ – den Parteichef, der die KPF seit 1994 für die Zusammenarbeit mit Sozialisten und Grünen vorbereitet hat. Madame Demessine konnte die Ruhe nur recht sein. Immerhin mußte sie sich in ein neues Ressort einarbeiten. Und nicht das geringste: Mit jährlich über 60 Millionen ausländischen Besuchern ist Frankreich weltweit das Reiseziel Nummer eins. Demessine eröffnete Kongresse, Messen und Ausstellungen und entwickelte Ideen über „Beschäftigungsmaßnahmen“ und das „Recht auf Ferien für alle“ – Dinge, von denen bei ihren Vorgängern nie die Rede war. Unter anderem forderte sie, daß der Anspruch auf die von den Arbeitgebern mitfinanzierten Urlaubsschecks auch auf die Beschäftigten von kleinen Unternehmen ausgedehnt werden solle.
Vielleicht war es das, was die Patrons im Tourismusgewerbe aufrüttelte. Jedenfalls erinnerte sich einer von ihnen vor einer Woche daran, daß in der Regierung in Paris auch Kommunisten sitzen – und ging zum Angriff über. Jean-François Alexandre erklärte Madame Demessine zur Persona non grata bei der wichtigsten Tourismusmesse des Landes, der „Top Resa“, die jeden Herbst in dem mondänen Badeort Deauville stattfindet. „Mit Ausnahme von China, Kuba und Nord- Korea wären wir der einzige Tourismussalon, der von einer kommunistischen Ministerin eröffnet würde. Das entspricht nicht unserem Beruf“, begründete der Veranstalter in einem Interview.
Der Skandal war groß. Während Demessine selbst bloß wissen ließ, das Ganze sei „schädlich für die Beschäftigung“, empörten sich die restlichen Regierungsmitglieder unisono, genauso wie die Gewerkschaften, die Eisenbahngesellschaft und die Flugveranstalter. Gestern mußte Messedirektor Alexandre zurücktreten. Demessine, die jetzt landesweit bekannt ist, wurde umgehend zur Messeeröffnung eingeladen. Dorothea Hahn
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