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Die SPD in innerer Unsicherheit

■ Schröder hält am Wahlkampfthema Kriminalität fest, Lafontaine rät davon ab, und Scharping sucht den Mittelweg

Während die SPD die Wunden nach der Hamburg-Wahl leckt und das Wahlkampfthema Innere Sicherheit für die Pleite verantwortlich macht, stellt einer seine gute Laune zur Schau. SPD-Parteichef Oskar Lafontaine strahlt, charmiert, scherzt – mit einem Wort: Es geht ihm prima. Ist ja auch kein Wunder: Bürgermeister Henning Voscherau ist zurückgetreten. Damit ist erstens der Weg frei für ein rot-grünes Bündnis in Hamburg. Zweitens ist ein Unsicherheitsfaktor für den Lafontainschen Steuerkurs verschwunden. Und drittens hat sich Schröders Lieblingsthema, die Innere Sicherheit, offenbar als Flop erwiesen.

Lafontaine hatte es ja schon vorher gewußt, daß ein auf Innere Sicherheit fixierter Wahlkampf nicht funktionieren würde. Er hält Themen für schlecht, bei denen anderen Kompetenz zugesprochen wird. Zudem sieht er Themen als kritisch an, für deren Problemlage man selbst verantwortlich gemacht werden kann. Etwa, wenn man wie die SPD in Hamburg die letzten zehn Jahre regiert hat. Wenn überhaupt, sähe Lafontaines Strategie daher so aus: erst Entscheidungen im Polizeiapparat treffen und dann publikumswirksam die Sicherheit thematisieren.

So versicherte er bereits, daß die SPD die Innere Sicherheit nicht zum Thema der Bundestagswahl machen werde. Sein Konkurrent Gerhard Schröder will trotzdem in Niedersachsen mit dem Thema Wahlkampf machen. Lafontaines Bedenken läßt er für sich nicht gelten. In Niedersachsen spüre der Wähler, daß sich die Regierung um seine Sicherheit kümmere. Die Präsenz der Polizei habe sich erhöht. Zudem bringt der hemdsärmelige Schröder das Thema glaubwürdiger rüber als der distinguierte Voscherau.

Der Mainstream seiner Partei macht sich dennoch Sorgen. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck hält die Innere Sicherheit als Wahlkampfthema für „denkbar ungeeignet“. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ingrid Matthäus-Maier forderte eine Abkehr vom Schröder-Kurs. Und Juso-Chefin Andrea Nahles nutzt ohnehin jede Chance, gegen Schröder zu opponieren.

Fragt sich nur, ob damit die Wähler nicht für dumm verkauft werden. Die unausgesprochene Botschaft der Bedenkenträger lautet: Lieber nicht über das Thema reden, sonst könnten die Wähler auf falsche Gedanken kommen.

Sollte man nicht lieber zunächst folgende Fragen beantworten: Warum haben die rechtsextremen Parteien DVU und „Republikaner“ bei der 97er Hamburg-Wahl insgesamt 0,8 Prozent Stimmen gegenüber 1994 verloren? Hat die SPD vielleicht wegen ihrer Politik und nicht des Wahlkampfes wegen schlecht abgeschnitten? Und hätte die SPD möglicherweise sogar mehr verloren, wenn sie das Thema vernachlässigt hätte? Zwar halten im Bundesdurchschnitt nur 6 Prozent der Bürger die Innere Sicherheit für eine der wichtigsten Fragen, während es in Hamburg 52 Prozent sind. Aber war Hamburg wegen der Wohnghettos, der vielen Jugendgangs, der offenen Drogenszene nicht ohnehin im Gerede?

SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping hält eine vermittelnde Lösung parat: Innere Sicherheit thematisieren – aber anders als Voscherau. „Freiheit und Sicherheit sind die vornehmsten Aufgaben des Rechtsstaates“, sagt Scharping. Man müsse allerdings gleichermaßen gegen die Ursachen für Kriminialität vorgehen. Als erste Maßnahme nennt er, und das propagiert auch Lafontaine, ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Oder fürchtet seine Partei, daß die Jugendlichen dadurch DVU wählen? Markus Franz

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