piwik no script img

Jimis letzte Show

■ Chaos statt „Love & Peace“: Ein Buch aus dem Bremer Kultur-Buch-Verlag spürt dem Mythos von Hendrix' letztem Gig nach

Über 100 Jahre galt das erste September-Wochenende unter ExpertInnen als sicherer Tip für Open Air-Veranstaltungen. Aber mit dem dreitägigen „Love & Peace“-Festival wurde diese Tradition gebrochen. Man wollte einen eigenen Mythos basteln, aber das ungestüme Wetter schien dafür wenig Verständnis zu haben. Lediglich als Wunderboy Jimi Hendrix am 6. September 1970 die Bühne auf Fehmarn betrat, schienen pünktlich mit den ersten Takten von „Hey Joe“ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken. So schildert es Thorsten Schmidt (Hrsg.) in seinem Buch „Jimi Hendrix und der Sturm auf Fehmarn“, das jetzt bei Kultur Buch Bremen erschienen ist.

Die Legende

Als Jimi bei strahlendem Wetter das 20minütige Solo zu „Red House“zelebrierte, war endlich dieses große kuschelig matschige Miteinander aufgekommen, was seit Woodstock in den Hirnen einer Generation eingebrannt war. Julie Burchill hat Woodstock als „die große Butterfahrt der Hippies“bezeichnet, die Aufgabe der Selbstorganisation zugunsten der kollektiven Geschichte via Konzertfilm oder Plattenset. Fehmarn stand dem in nichts nach.

Dichter Regen fegte bereits die Beckenständer von der Bühne als zum Schluß noch eine blutjunge Rockband namens „Ton, Steine, Scherben“für drei Songs auf die Bühne kam. Der Veranstalter hatte bereits das Weite gesucht, und Rio Reiser forderte dazu auf, diesen „ungespitzt in den Boden zu rammen“. Der letzte Song war die öffentliche Premiere von „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, der damit endete, daß einzelne Bühnenteile brannten.

Horden von Rockern, die sich selbst als Ordner eingesetzt hatten, fühlten sich um ihr Geld betrogen und donnerten mit Motorrädern durch kreischende Hippies. Auch gegen eine angerückte Hundertschaft bewiesen die Rocker militärische Überlegenheit im Felde und verwandelten das Gelände in ein vollendetes Chaos.

Kommando aus Berlin

„Das Finale dieses ,Festivals der Liebe' wurde ganz einfach den Punks der beginnenden siebziger Jahre überlassen“, erinnert sich Gert Möbius, der damals beim 28köpfigen Kommando aus Berlin dabei war. „Ihre ganze Darbietung war ohne jegliche Technic-Control, da die Tontechniker auch bereits entschwunden waren.“

Mitch Mitchell donnerte bereits im Hubschrauber zum Festland und konnte aus der Luft nur noch erkennen, daß der Kassenwagen und ein Teil der Bühne in Flammen aufging. Ohne die finanzielle Hilfe der Porno-Magnatin Beate Uhse hätte sowieso niemand eine einzige Note gespielt, und zahlreiche Bands hatten schon im Vorfeld abgesagt. Zahlreiche Drogenhändler waren auf die Ostsee-Insel gereist, aber lediglich zwei Würstchenbuden und ein Eiermann mit „Pop-Eiern“sorgten für ergänzende Verpflegung. Die ausgefeilte Infrastruktur der Rockindustrie steckte noch in den Kinderschuhen, aber kleine Stände mit Glasperlen, indischem Firlefanz und Che-Guevara-Leibchen waren bereits Teil des Programms. Zwölf Tage später erstickte Jimi Hendrix in London an seinem eigenen Erbrochenen, und die Legende von Fehmann war perfekt.

Der Kultur Buch Bremen-Verlag spürt dem Mythos von Jimis letzter Show mit dem vierten Band der „Collector's Friend“-Serie nach. Hendrix war in diesen Tagen ungewohnt depressiv, und sein Tod markiert das Ende der blumigen Revolte. Unverblümt wird geschildert, wie das Festival bei vollendeter Desorganisation im Morast versank und aggressivere Zeitgenossen das Zepter an sich rissen. Herausgeber Thorsten Schmidt hat Zeitzeugen befragt und alte Zeitungsschnipsel ausgegraben, Comic-Zeichner Lutz Mathesdorf, bekannt durch seine Berti-Vogts-Strips, hat dazu kleine Geschichten gezeichnet.

Jimis Depressionen

Zahlreiche Memorabilia ergänzen dieses Stück lokaler Rockgeschichte in unterhaltsamer Weise, und seit 1995 findet auf Fehmarn ein „Jimi Hendrix-Revival-Festival“statt, Leichenkult mit zollfreiem Einkauf und der funktionierenden Logistik der 90er. 1997 kamen Rocker-Größen wie Hannes „Feuer“Bauer, rechte Hand von Udo Lindenberg, oder Embryo, Veteranen vom 70er-Line-Up. Alle irgendwie dabei gewesen, damals, beim Sturm auf Fehmarn. Man fragt sich, wo Jimi Hendrix heute wäre, wenn er nicht schon gestorben wäre. StErn

Jimi Hendrix und der Sturm auf Fehmarn, Kultur Buch Bremen, 80 S., 24,80 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen