: Heilsamer Zwang im Interesse der Kinder
■ In Schweden wurde das gemeinsame Sorgerecht bereits 1983 eingeführt
Das gemeinsame Sorgerecht für Kinder nach der Scheidung der Eltern ist in Schweden längst eine Selbstverständlichkeit. Nachdem Veränderungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit – nahezu jede fünfte Ehe scheitert, es gibt immer mehr Alleinstehende mit Kindern – eine Revision des im Prinzip seit der Jahrhundertwende gültigen Eherechts unumgänglich gemacht hatten, wurde das schwedische Familienrecht in zwei Schüben 1974 und 1979 reformiert. Das Scheidungsverfahren wurde zu einem reinen Behördenakt, bei dem es hauptsächlich um die finanziellen und vermögensrechtlichen Folgen geht. Nicht einmal ein Trennungsjahr gibt es seither in Schweden.
Sind minderjährige Kinder vorhanden, legt das Gericht die Scheidungsakten aber automatisch für ein halbes Jahr auf die Seite; den Eltern wird eine sechsmonatige „Bedenkzeit“ verordnet.
Schnell entpuppte sich die „Jahrhundertreform“ als mangelhaft in einem zentralen Punkt: dem Sorgerecht. Woraufhin das Gesetz erneut diskutiert und mit Wirkung vom 1. Juli 1983 das jetzt geltende Prinzip verankert wurde. Es bleibt nach einer Scheidung beim gemeinsamen Sorgerecht, sofern keiner der Ehepartner dagegen Einwände erhebt. Nur spezielle Gründe – in der Praxis nahezu ausschließlich ein vom Gericht akzeptierter begründeter Verzicht eines der Partner – lassen Abweichungen von diesem Prinzip zu. Die im Rahmen der Scheidung ausgesprochene Sorgerechtsregelung kann geändert werden, wenn sie sich als unrealisierbar erweist.
Ausdrücklich Rücksicht auf den Wunsch des Kindes
Faktisch wird vom Gesetzgeber ein im Interesse des Kindeswohls als notwendig angesehener „Einigungsdruck“ insoweit ausgeübt, als das Gericht keinerlei Regelungen über die Ausgestaltung treffen darf. Nicht einmal darüber, bei welchem Elternteil das Kind vorwiegend wohnen soll. Solange das gemeinsame Sorgerecht besteht, müssen die Eltern selbst über all diese Fragen Einigung erzielen. Sie müssen regeln, wo das Kind die Schule besucht, bei wem es wohnen soll und wie sich das Besuchsrecht gestalten soll.
Keine Regelung für unverheiratete Paare
Zum Umgangsrecht, das die Geschiedenen selbst regeln müssen, gehört laut Gesetz auch ausdrücklich die Rücksicht auf den Wunsch des Kindes, regelmäßigen Kontakt zu Großeltern und anderen Verwandten beider Elternteile zu haben. Gelingt es den Eltern nicht oder nach gewisser Zeit nicht mehr, diese Fragen übereinstimmend zu lösen, entscheidet das Gericht nicht über eine solche einzelne Umgangsfrage, sondern löst das gemeinsame Sorgerecht insgesamt auf und überträgt dieses an einen Elternteil.
Die Aufhebung eines einmal gefaßten Beschlusses auf gemeinsames Sorgerecht gehört zu den Ausnahmen: Etwa vier von fünf Geschiedenen schaffen es offenbar, die alltäglichen Umgangsfragen auf Dauer einvernehmlich zu regeln. Der heilsame Zwang, den der Gesetzgeber bei der Begründung des neuen Sorgerechtsgesetzes hiermit ausdrücklich im Interesse des Kindeswohls ausüben wollte, scheint also tatsächlich relativ erfolgreich zu funktionieren.
Was bislang fehlt, ist eine Regelung für unverheiratete Paare. Zum 1. Januar 1995 war ein „Partnerschaftsgesetz“ in Kraft getreten, das eine nahezu vollständige Gleichstellung unverheirateter mit verheirateten Paaren bedeutete. Davon ausgeschlossen worden waren damals nur das Adoptionsrecht, das Recht auf künstliche Befruchtung und – das Sorgerecht. Grund hierfür war, daß es bei der Gesetzesbehandlung 1994 keine politische Mehrheit für eine vollständige Gleichstellung gab. Reinhard Wolff, Stockholm
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