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„So 'ne Art Jäger und Sammler?“

Justizbediensteter verurteilt, der einem Staatsanwalt die Griffel stahl  ■ Von Lisa Schönemann

Kurt Behnke (Name geändert) hat sich selbst ein Bein gestellt. Der Justizangestellte weist den Verdacht, er könne ausgerechnet einem Staatsanwalt dessen Lederetui samt Füllfederhaltern entwendet haben, nicht etwa brüsk von sich. Statt dessen murmelt der 54jährige Mann vor Gericht: „Was soll ich damit? Ich kann gar nicht mit Füllern schreiben.“

Ein mysteriöser Diebstahl steht im Raum. Obwohl der Hamburger Justiz, geschwächt durch die Wahrung der Inneren Sicherheit, fast die Puste ausgeht, scheut sie nicht den Aufwand, das Verschwinden der staatsanwaltschaftlichen Griffel ganz genau unter die Lupe zu nehmen: An einem Montag im September vorigen Jahres hatte der junge Staatsanwalt Dr. J. kurz vor Feierabend bemerkt, daß er sein Etui im Gerichtssaal liegengelassen hatte. Protokollführer Kurt Behnke hatte den Saal als Letzter verlassen. Selbstverständlich hatte er zuvor die Fenster verriegelt und die Ablagekörbe mit den Vordrucken für Gerichtsentscheide aufgefüllt. Die vergessenen Schreibutensilien will er nicht entdeckt haben.

Gestern vormittag nun ist Amtsrichter Rudolph gefordert. „Das war ja sozusagen kein Kapitalverbrechen“, will er den Angeklagten gekonnt zu einem Geständnis hinleiten. „Unter Männern: Waren Sie es oder nicht?“Und obwohl der Richter versichert, bei einer solchen Verfehlung werde niemandem der Kopf abgerissen, bleibt Behnke stumm. Ihm droht schließlich ein Disziplinarverfahren. Nach 30 Jahren Justizdienst. „Könnte es sein, daß Sie so 'ne Art Jäger und Sammler sind?“bohrt der Richter weiter. Behnke zuckt mit den Schultern. Resigniert ruft Rudolph den ersten Zeugen auf.

Der gehässige Kollege Behnkes beeilt sich, von dessen „allseits bekannter Vorliebe für Kugelschreiber“zu berichten. „Es wurde häufig beklagt, daß sich Schreibwerkzeuge in seiner Nähe geradezu in Luft auflösten.“Eine vor Monaten von der Personalabteilung veranlaßte Razzia im Dienstzimmer Behnkes habe lange Vermißtes zutage gefördert, das penibel aufgelistet wurde: 470 Kugelschreiber, neun Locher, sieben Hefter und acht Rollen Klopapier.

Am Tattag war das Federmäppchen (ohne Füller) hinter der Heizung im Gerichtsflur gefunden worden. Für die Staatsanwältin ist Behnke schnell zu überführen: „Er mußte damit rechnen, entdeckt zu werden, und wählte daher das Heizungsversteck.“In ihrem Plädoyer spricht die Kollegin von Dr. J. von „besonderer Dreistigkeit“und „erhöhter krimineller Energie des Angeklagten“. Ihre Forderung: 2400 Mark Geldstrafe wegen Diebstahls. Behnke zieht den Kopf ein.

Richter Rudolph fällt das Urteil: Die geforderte Geldstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem soll Behnke eine Geldbuße von 500 Mark zahlen. Für karitative Zwecke. Noch gibt es keinen Fonds für geschädigte Staatsanwälte.

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