: "Den Körper wegschreiben"
■ Alban Rehnitz, Dramaturg des "Projekts RAF" im Berliner Ensemble über die Selbstopferhaltung der RAF-Gefangenen, die sprachliche Faszination ihrer Briefe und die Motivation, daraus Theater zu machen
Letzten Samstag hatte im Berliner Ensemble das „Projekt RAF“ Premiere (vgl. taz vom 22.9.). Der Regisseur Paul Plamper und sein Dramaturg Alban Rehnitz sind beide 25 Jahre alt. Plamper ist in Tübingen aufgewachsen, Rehnitz in Wismar. Beim Studium der Theaterwissenschaften haben sie sich in Berlin getroffen. Alban Rehnitz ist bereits seit einiger Zeit am Berliner Ensemble. Er hat zunächst Heiner Müller hospitiert und war danach Assistent, zuletzt beim Brecht-Fragmente-Spektakel im Sommer.
taz: Was hat euch dazu bewogen, die Texte der RAF-Gefangenen zu inszenieren?
Alban Rehnitz: Das Stück ist kein Beitrag zum Deutschen Herbst, will sich dem aber auch nicht entziehen. Geplant war es als paralleles Projekt zur „Maßnahme“ an der BE-Bühne. In beiden Stücken werden zwei utopische Weltentwürfe verhandelt, die gescheitert sind, aber dennoch Faszinationskraft besitzen. Uns geht es nicht um eine Verteidigung der RAF, von ihren Methoden ganz zu schweigen, sondern um Menschen, die radikal – und radikal besonders auch gegen sich selbst – die Welt ändern, eine andere Gesellschaft verwirklichen wollten. Wie diese Gesellschaft genau aussehen sollte, ist dabei nicht klar, und sie sind auch nicht besonders optimistisch, ihr Ziel wirklich zu erreichen. Sie sehen in ihrem Weg aber ein Ziel, selbst wenn es für sie tragisch enden muß. Sie sehen ihren Weg als ein Selbstopfer, und das kommt in dieser Knastsituation besonders deutlich heraus.
Was sind das für Texte, die ihr verwendet habt?
Dieser Briefwechsel zwischen den Insassen in Stammheim, der übrigens ziemlich wenig bekannt ist, wurde von der Folgegeneration der RAF ausgesucht. Außerdem wurden viele Briefe im Vorfeld von staatlicher Seite beschlagnahmt. Nach diesen Zensuren hat man halt nur das, was man hat. Die Texte sind voller Zweifel und Selbstkritik. In einem ungeheuren Willensakt versuchen die Gefangenen, ihren Körper wegzuschreiben, nur noch analytischer Geist zu sein. Es geht dabei sehr viel um Sprache. Ihre Sprache ist einzigartig kodiert, nicht aus Furcht vor Zensur, sondern weil sich Sprache im Sinne einer neuen Idee auch neu definiert. Die politische Idee der RAF definiert sich sehr stark über eine spezifische Sprache. Das ist es, was diese Texte so interessant macht.
Ihr habt die Texte mit Musik inszeniert, als Oratorium...
Das mit der Musik stand für uns von vornherein fest. Die Musik ist sozusagen eine zweite Ebene, mit der die Sprache konfrontiert wird. Wir haben die Briefe ja auch nicht chronologisch in ihrer Originalform belassen. Es sind Textsplitter vieler Briefe, die von nur drei Leuten vorgetragen werden. Die Musik ist dazu ein Kontrapunkt und eine Basis, auf der man diesen Texten überhaupt erst zuhören kann. Faszination und Abscheu über die Texte werden durch die Musik auf eine andere, wertungsfreiere Ebene gebracht. So entsteht dann auch diese Art Komik, die das Groteske der Texte enthüllt. Dabei wollten wir die Texte auf keinen Fall denunzieren, und das war sehr schwierig. Interview: Ulrike Fiebrandt
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