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Alles wird gut. Auch bei der SPD

Die Wahlkampfzentrale wird heute eingeweiht, und die Sozialdemokraten lernen jetzt, wie man effizient Faxe schickt, was E-Mail bedeutet und was ein „Internetbeauftragter“ tun soll  ■ Aus Bonn Markus Franz

Träumt etwa noch jemand davon, Parteien würden allein durch das bessere Programm gewinnen? Oder der Wahlkampf richte sich nach den Inhalten und nicht umgekehrt? Wenn ja, dann sprechen Sie mit Doktor Franz Müntefering. Der Geburtshelfer für ein Kind, das nun schon 15 Jahre lang auf seine Geburt wartet, operiert schnell, zielgenau und ohne Narkose. Das Ergebnis ist: die Entzauberung der Politik.

Daß Wahlsiege einem nicht nur verdientermaßen zukommen, sondern herbeigerackert werden, hat ein neues Symbol: Die neue Wahlkampfzentrale, 200 Meter entfernt vom Ollenhauerhaus. Heute wird „Kampa 98“ eingeweiht; am 1. Oktober beginnt dort die Arbeit. Etwa 60 Mitarbeiter haben nur ein Ziel: Die Bundestagswahl am 27. September 1998 zu gewinnen.

Die Presseabteilung wurde von sieben auf 14 Mitarbeiter verdoppelt, die „Gegnerbeobachtung“ von einem auf sieben aufgestockt. Als kreatives Potential wurden junge Leute mit Zeitverträgen bis zur Bundestagswahl eingestellt, die keine Parteimitglieder sein müssen. Statt verwinkelter Flure und versteckter Zimmer wie im Ollenhauerhaus gibt es nun fünf Großraumbüros. Die neuen Räumlichkeiten stellen klar: Alles wird neu, alles wird gut.

Nicht zu zehn, zwanzig, fünfzig, nein zu achtzig Prozent hält Müntefering Organisation und Strategie für wahlentscheidend. „Wir hatten schon oft das bessere Programm, die bessere Botschaft“, sagt der Chef des größten SPD-Bezirks westliches Westfalen. „Wir haben aber nicht gewonnen, weil wir nicht auf den Wahlsieg hin organisiert waren.“ Denn was nützt es zum Beispiel, wenn die Botschaften nicht verstanden werden und die eigene Wählerschaft nicht zur Wahl geht.

Ausgangspunkt für die strategischen Überlegungen Münteferings ist die Frage: Wie kann ich die SPD-Stammwähler mobilisieren? „Das ist nicht spektakulär“, räumt der 57jährige ein. Es muß ja auch nur vernünftig sein. Die Kraft, die erforderlich wäre, um aus einem FDP-Wähler einen SPD-Anhänger zu machen, wäre ungleich größer. Genau das haben bei der SPD bisher zu viele versucht.

Zukünftig wird die SPD versuchen, Streuverluste einzudämmen. „Wir gehen in die Straßen, wo uns die Leute wählen würden.“ Sprecherin Mechthild Reith erinnert sich an ein Wohnviertel in Mainz, wo das Wählerpotential der SPD auf über 50 Prozent geschätzt wird. Dennoch hätten dort zuletzt nur 30 Prozent die Sozialdemokraten gewählt. Das besagte Viertel kann sich daher schon auf eine Art Mund-zu-Mund-Beatmung gefaßt machen: SPD-Wahlhelfer werden von Haustür zu Haustür ziehen und werben.

Müntefering gibt übrigens wie selbstverständlich zu, daß auch Inhalte von der Wahltaktik bestimmt werden. Zum Beispiel der Jugendparteitag im vergangenen Jahr. Wie kam es dazu? Die Leute, sagt Müntefering, vermuten ja ohnehin von der SPD, daß sie soziale Gerechtigkeit wollen. Das muß man nicht mehr betonen. Was also dann?

Wichtig für die Wahlentscheidung ist nicht, wer die bessere Politik gemacht hat, sondern wem man zutraut, die kommenden Probleme am besten zu lösen, so die SPD- Idee. Die Schlußfolgerung daraus: Was wir brauchen, ist Zukunft. Und was ist das Synonym für Zukunft? Richtig! Jugend. Also machen wir einen Jugendparteitag. Die passenden Inhalte dazu wird man schon finden.

Oder reicht vielleicht sogar das Ereignis? Ein SPD-Mann aus dem Saarland hält das Ergebnis des „ersten visuellen Parteitags“ für sehr „zielgruppenwirksam“. Graffiti, Technosound und die vielen jungen Leute hätten rübergebracht: Die SPD ist modern. Ob sies wirklich ist? Das stellt sich früh genug nach der Wahl heraus.

Um wirklich auf der Höhe der Zeit zu sein, wurde vor allem der amerikanische Wahlkampf studiert. Amerika steht offenbar für Erfolg – obwohl es auch dort immer Verlierer gibt. Und so kommen den Verantwortlichen neben den alten Begriffen wie Gerechtigkeit, Solidarität, Chancengleichheit neue Zauberwörter wie working process, manpower, telefoncampaining, political message design, direct mailing, key seats wie selbstverständlich über die Lippen. Gelernt hat man zum Beispiel, die moderne Technik wirkungsvoller einzusetzen. Mit dem Faxverteiler „Fax 100“ werden Botschaften des Parteivorsitzenden in Windeseile bis in den letzten SPD-Unterbezirk geschickt. Zudem baut die Zentrale ein „Intranet“ auf (eine Spur auf dem Internet), das alle Unterbezirke mit Bonn verbindet. Per E-Mail wird jeder SPD-Wahlkämpfer mit Informationen und Argumenten versorgt.

Auch die Länder machen mit. Im Saarland mußte jeder Ortsverein einen Internetbeauftragten ernennen. Die insgesamt etwa 400 Ausgewählten haben die Aufgabe, Flugblätter, die von der Zentrale kommen, auszudrucken, zu kopieren und vor Ort zu verteilen. Das ist erstens billiger als die Post und geht zweitens schneller.

Hat die SPD eigentlich auch von der CDU abgeguckt? Schließlich war es Helmut Kohl, der die Sozialdemokraten seit 15 Jahren immer wieder geschlagen hat und nicht Bill Clinton. Müntefering überlegt lange. Nicht, weil er keine Antwort wüßte, sondern weil er abschätzt, was er erzählen darf. Von der CDU könne man lernen, sich nicht in der Beschreibungen der Probleme zu verlieren, sondern lieber Zuversicht zu verbreiten. Und genau das tut der Bundesgeschäftsführer der SPD. Seit heute kündigt eine Uhr vor dem Ollenhauerhaus siegesgewiß an, wie viele Tage, Stunden, Minuten, Sekunden noch bis zum Machtwechsel bleiben.

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