Leben gegen falsche Friedfertigkeit

■ Betr.: Margarete Mitscherlich

Mitten im Ersten Weltkrieg, am 17. Juli 1917, wurde Margarete Mitscherlich in eine deutsch-dänische Familie hineingeboren. Der Vater der Familie Nielsen war Arzt im süddänischen Graasten, die Mutter, eine Flensburgerin, bis zu ihrer Heirat Lehrerin. Nach dem Abitur 1937 ging sie nach München und studierte Literatur. Nach einem Jahr wechselte sie zur Medizin und setzte ihr Studium in Heidelberg fort, wo sie 1944 Examen machte.

Das Kriegsende verbrachte sie in Dänemark, siedelte aber schon kurze Zeit später in die Schweiz über, um sich in anthroposophischer Medizin weiterzubilden. Dort traf sie 1947 Alexander Mitscherlich wieder, den sie aus Heidelberg kannte. Über ihn kam sie in Kontakt mit der Psychoanalyse und begann Anfang der fünfziger Jahre mit ihrer analytischen Ausbildung. 1949 wurde der gemeinsame, noch uneheliche Sohn Mathias geboren.

Margarete Mitscherlich hat sich neben ihrer eigenen psychoanalytischen Praxis lange Jahre vor allem als Lehranalytikerin betätigt. 1967 erschien das berühmte Buch Über die Unfähigkeit zu trauern. Die Studie über den Umgang der Deutschen mit ihrer Nazivergangenheit wurde lange Zeit nur ihrem Mann, Alexander zugeschrieben, obwohl sie beider Gedanken enthielt. Kein Buch zum Thema wurde über intellektuelle Kreise hinaus so bekannt – und zugleich dessen flüchtige Rezeption kritisiert. Es sei „das ideale Buch für die deutsche Krokodilstränendrüse“, wenn man den Text nicht lese.

Margarete Mitscherlich wurde erst durch die neue deutsche Frauenbewegung einem größeren Publikum bekannt. Durch Aufsätze in Emma, aber vor allem durch ihr Buch Die friedfertige Frau (1985). Darin kritisiert sie das Rollenverhalten von Frauen. In einem Spiegel-Gespräch erläuterte Margarete Mitscherlich dazu: „Es ist der Vorwurf gegen eine falsche Friedfertigkeit – eine Anpassungsbereitschaft, eine allzu große Neigung, Frieden deswegen zu bewahren, weil sie den Verlust von Liebe vermeiden wollen. Im tieferen Grund ihrer Seele sind Frauen nicht friedfertiger als Männer.“

In einem Stern-Essay aus dem Jahre 1987 über die Filmregisseurin Leni von Riefenstahl verknüpfte Mitscherlich nochmals ihre beiden Hauptthemen – Nationalsozialismus und Weiblichkeit: „Faschismus in all seinen Formen ist offenbar so lange nicht aus der Welt zu schaffen, wie Frauen ,Heldentum‘ und männliche Größenphantasien anbeten.“

Kein Wunder, daß Mitscherlich ein deutsches Golfkriegsengagement ablehnte. „Mich stimmt also angesichts eines grausamen Krieges die ,Unfähigkeit zu kämpfen' optimistisch – wie auch die Offenheit, Angst und andere ,unmännliche‘ Gefühle zuzulassen und auf ,Sieg‘ zu setzen.“

Das Ehepaar Ute und Jürgen Habermas nannte Margarete Mitscherlichs Biographie einmal „ein offensiv gelebtes Leben“. Heide Soltau