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Gnädige Duschvorhänge

■ Die Choreographin Ingun Bjørnsgaard verzaubert spielend auf Kampnagel

Ihr Hang zu einer verqueren Poesie klingt bereits im Titel an. Doch was beim Lesen ein wenig hochgestochen erscheinen mag, stellt die norwegische Choreographin Ingun Bjørnsgaard sanft, aber bestimmt auf den Tanzboden charmanter Alltäglichkeit und menschlicher Absurditäten. The solitary shame announced by a piano wurde Donnerstag auf Kampnagel uraufgeführt, koproduziert von der Kulturfabrik, deren Leitung damit einen wirklich guten und mutigen Griff getan hat.

Um Scham und Eitelkeit geht es in dem Stück der Osloer Compagnie Ingun Bjørnsgaard Prosjekt, um das Gefühl, am liebsten in den Boden zu sinken, der hier cremefarben schimmert wie eine Haut, dazu gespannt ist wie ein Sprungtuch und jede Blöße erbarmungslos zurückwirft. Olav Myrtvedt hat eine Reihe Duschvorhänge in sein originelles Bühnenbild eingebaut, die bei Bedarf geräuschvoll von den Tänzerinnen und Tänzern gezogen werden.

Sigrid Edvardsson, die lüsterne Ballerina im schwarzen Tutu, versteht es, die Blicke auf sich zu ziehen. Die zarte Gry Kipperberg muß sich da schon hartnäckiger ins Rampenlicht drängen. Und nach dem zehnten Rülpser ist Terje Tjøme Mossiges Kopf so krebsrot, daß er bis in die letzte Zuschauerreihe leuchtet. Perfekt beherrschen die Tänzer das subtile Spiel mit der Aufmerksamkeit des Publikums, schlüpfen reibungslos aus der Intimität in die Öffentlichkeit. Allein sie sind es, die souverän Nähe und Distanz dirigieren. Tanz und Darstellung verschmelzen hier zu einer selten erlebten Einheit.

Dazu beherrschen die sieben Tänzer den ungezwungenen Umgang mit einem sehr weiten zeitgenössischen Repertoire. Bjørnsgaard liebt es, kleine Manierismen herauszugreifen. Das amüsiert nicht nur Insider. Denn die Choreographin versteht es, klug und voller Ironie mit diesen Eitelkeiten zu spielen. Ihr Tanz transportiert eine Vielzahl von Geschichten, Beobachtungen und Ansichten über den Körper, formt diese zu einem vielschichtigen Ganzen in einer überaus klaren, konzentrierten, ungezierten Bewegungssprache.

Die einst klassische Basis scheint noch durch, wird sinnig und zeitgemäß weitergeführt. Der klassische Pas de deux regt Bjørnsgaard an zu Ritualen aberwitzigsten Beziehungsclinches. Rolf Wallins Geräuschcollage legt sich wie eine Hülle um das Bühnengeschehen. Mal umspielt sie dieses leicht und luftig, trägt somit das liebevoll anarchische Durcheinander, verhärtet sich dann in dissonanter Reibung zu wiederholten, strengen Tanzformationen. Bei aller Komik ist Bjørnsgaard hier ein wundervoll lebendiges Stück tiefgreifender Gefühls- und Stimmungslagen gelungen.

Marga Wolff

noch bis Sonntag, 19.30 Uhr, Kampnagel k2

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