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■ Mit der Steuerreform scheitert die RegierungskoalitionDüstere Aussichten

Als Jahrhundertwerk wurde die Reform der Einkommensteuer angekündigt, davon ist einzig eine Fin- de-siècle-Stimmung geblieben, die ihr Scheitern verbreitet. Die Bundesregierung ist mit ihrem Latein am Ende. Sie war es eigentlich schon, als sie sich auf den Pfad der Kompromißfindung begab, auf dessen Ende man sehr bald allein schon deshalb hoffte, um des leidigen Themas entledigt zu sein. Schon seit Wochen war das Wörtchen Einigung zum Selbstzweck verkommen, von den Beteiligten allein unter dem Gesichtspunkt geäußert, wer denn den größeren Anteil an ihr für sich vereinnahmen könnte. Je unscheinbarer die Differenzen wurden, desto heftiger wurden sie verteidigt. Wo es um nichts mehr geht, läßt es sich trefflich politisieren. Mit Getöse wird nun über Schuld und Verantwortung räsoniert, als ließe sich an der Lautstärke ermessen, was in der Sache selbst schon nicht mehr erkennbar war.

Von Wahlsiegen der Liberalen im Frühjahr 96 beflügelt, machte sich die Regierungskoalition wenige Monate später an die Steuerreform. Über massive Reduzierungen eine Belebung der Wirtschaft und damit eine Entlastung des Arbeitsmarktes induzieren – gegen eine solche angebotsorientierte Politik ließe sich viel Treffliches ins Feld führen. Am trefflichsten ist freilich die Empirie. Trotz einer jahrelangen Politik des Streichens und Kürzens sind die gewünschten Arbeitsmarkteffekte nicht eingetreten.

Bei den Wählern setzt sich mittlerweile die Erkenntnis durch, daß das eine mit dem anderen nicht unmittelbar verbunden ist. Die Verve, mit welcher der Neoliberalismus noch vor Jahresfrist die politische wie die Fachdebatte dominierte, schwindet allmählich dahin. Die mangelnde Attraktivität der Steuersenkungspartei FDP mag als ein Indiz dafür gelten, daß er seinen Zenit überschritten hat. Die jetzt anstehende Rentenreform atmet bereits die Halbherzigkeit, die Klientelismus nun mal hervorbringt.

Damit verliert die Koalition ein zentrales Projekt, an dem ihr Schaffen in dieser Legislaturperiode identifizierbar wäre. Bei einem weiteren, der Reform des Staatsbürgerrechts, bleibt sie, diesmal ganz ohne SPD, in der Blockade ihrer widerstreitenden Interessen verfangen.

Düstere Aussichten für den beginnenden Wahlkampf. Sie werden noch düsterer durch den Umstand, daß sich durch einen erneuten Sieg der Regierungskoaliton bei der Bundestagswahl an den zentralen Bedingungen der Handlungsunfähigkeit nichts ändern dürfte. Das christliberale Fin de siècle könnte schon vor dem Ende des Jahrhunderts eingeläutet werden. Dieter Rulff

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